06.09.08

2. Mein Leben im Ramanashram

Mein Leben im Ramanashram

Zunächst mietete ich mir dasselbe Zimmer wie zuvor. Da es aber auf Dauer zu klein war und der Lärm und die Betriebsamkeit des angrenzenden Hotels unerträglich waren, zog ich in das Haus, in dem auch Echammal wohnte. Echammal war eine langjährige Anhängerin Bhagavans. Das Besondere an ihr war, dass sie über 38 Jahre Bhagavan täglich mit Essen versorgt hat. Sie fing damit an, als er alleine in der Virupaksha-Höhle lebte und keiner ihm etwas zu essen brachte.

Tagsüber war ich im Ashram und abends hörte ich Echammal zu, die Geschichten aus Bhagavans Leben erzählte. Wenn sie krank war, kochte ich und brachte das Essen an ihrer Stelle zu Bhagavan. Doch das reguläre Essen kam aus der Ashramküche, wo Santamma und andere arbeiteten. Wenn Chinnaswami sah, dass ich Essen brachte, sagte er: »Warum machst du dir diese Mühe?« Es war jedoch ein Dienst für Bhagavan, ein Privileg, das sich von selbst eingestellt hatte, und deshalb machte ich damit weiter. Bhagavan beobachtete das Ganze und sagte nichts.

Als der Trubel des Kartikai-Festes vorüber war, ging ich, Echammals Anweisungen folgend, zu Bhagavan in die Halle, verneigte mich wie üblich vor ihm, und blieb vor ihm stehen. Madhavaswami sagte zu Bhagavan, ich wolle ihn etwas fragen. Er sah mich fragend an. Was sollte ich ihm sagen? Mir ging zwar vieles im Kopf herum, aber ich brachte nichts heraus. Schließlich sagte ich mit bebender Stimme: »Bitte, hilf mir, die Befreiung (Mukti) zu erlangen.« Er sah mich voller Mitgefühl an und nickte nur. Ich konnte nichts mehr sagen, verneigte mich vor ihm und ging.

Echammal wollte wissen, was ich Bhagavan gefragt und was er geantwortet hatte. Ich erzählte ihr alles. Sie meinte, dass es ein äußerst günstiges Zeichen gewesen sei. Anscheinend fragte Bhagavan normalerweise zurück: »Wie sieht deine spirituelle Praxis aus?« und gab dann einen entsprechenden Rat. Mir hatte er jedoch nur zugenickt und das war, nach Echammals Ansicht, etwas Besonderes. Aber ich hatte ja noch keinen früheren Guru gehabt und keine Unterweisung (Upadesa) erhalten. Wie also hätte er danach fragen und was hätte ich ihm antworten können?

Nachdem ich die Gnade Bhagavans erlangt hatte, wurde mein Geist klar. Ich wandte mich nach innen und begann Selbstergründung (Atma Vichara) zu üben. Ich verstehe heute, dass die spirituelle Praxis, die ich bis dahin geübt hatte, lediglich den Weg für diese Selbstergründung bereitet hat. Ich begann sorgfältig alle Bücher zu lesen, die Bhagavans Lehre enthielten, und überdachte sie immer wieder. Die meiste Zeit widmete ich nur noch dieser spirituellen Übung. Immer, wenn ich einen Zweifel hatte, suchte ich Bhagavans Führung, indem ich meine Fragen auf Zettelchen schrieb und sie ihm gab. Manchmal fragte ich ihn auch direkt. Er ermahnte mich wiederholt: »Warum nimmst du diese Zweifeln überhaupt zur Kenntnis?«


Amrtanandi[1]

1942 führte ein tamilischer Gelehrter mit Bhagavan ein Gespräch über Amrtanadi. Bhagavan schien an dem Thema sehr interessiert zu sein und erklärte ihm ausführlich die Funktionsweise von Amrtanadi. Ich bedauerte, dass ich darüber nichts wusste. Als der Gelehrte fort war, führte Bhagavan das Gespräch mit Mahdavaswami weiter.

Ich war neugierig geworden, und als Bhagavan vom Kuhstall zurückkam, fragte ich ihn danach. Doch bevor ich noch meine Frage beenden konnte, sagte er unvermittelt: »Warum kümmert dich das?« Ich erwiderte: »Du hast in den letzten vier Tagen darüber gesprochen und deshalb habe ich gedacht, dass ich etwas darüber wissen und dich danach fragen sollte.« Bhagavan erwiderte: »Was für eine Idee! Er hat mich gefragt, was in den Sastras darüber geschrieben steht und ich habe ihm darauf geantwortet. Aber warum kümmerst du dich darum? Es genügt, wenn du in dein eigenes Selbst blickst und herausfindest, wer du bist.« Als er das in ernstem Ton gesagt hatte, ging er weiter. Ich war sehr betroffen.

Zwei oder drei Tage später, als nicht viele Leute in der Halle waren, kam das Thema erneut auf und Bhagavan sagte: »Es ist lediglich eine Vorstellung.« Ich fragte: »Dann ist also alles, was sich auf Amrtanadi bezieht, nur eine Vorstellung?« »Ja. Was anderes sollte es sonst sein? Wenn der Körper nur eine Vorstellung ist, ist dies dann nicht ebenso eine Vorstellung?«, erwiderte er und sah mich mitleidsvoll an. In diesem Augenblick verschwanden alle Fragen, die ich diesbezüglich noch hatte.

Bhagavans Gnade begann auf diese Weise ständig auf mich einzuströmen. Es war, als würde Wasser durch dürres Land fließen und es zum Erblühen bringen. Ich begann mit dem Sadhana, den Ursprung aller Gedanken zu hinterfragen, doch mein Geist wurde unwillentlich von Irrtümern und Illusionen abgelenkt. Wenn das geschah, sah mich Bhagavan eindringlich an, als wollte er diese Gedanken verscheuchen. Ich fühlte mich dann beschämt. Manchmal schrieb ich meine tastenden Versuche und Fehler in meinem Sadhana auf und gab ihm die Notizen. Ohne dass er sich von meinem häufigen Bitten um Führung belästigt oder ermüdet fühlte, klärte er geduldig meine Zweifel oder kritisierte meine Defizite. Er lehrte und ermahnte mich auf verschiedene Weise, um mich auf den rechten Pfad zu führen. Dadurch gab er mir Geistesfrieden und Zufriedenheit.
Sobald ich zu seinen Füßen Zuflucht gefunden hatte, verschwand auch jeder Wunsch heimzugehen und den Mitgliedern meiner Familie beizustehen. Ich wollte auch sonst nirgendwo hin. Vielmehr hatte ich das Empfinden, ich sollte den Rest meines Lebens im Ashram verbringen.


Der Dienst der Affen

Für jeden Devotee ist es natürlich, den Guru in einem Loblied zu preisen, wenn er seine Gnade empfangen hat. Die Neigung, Gedichte zu schreiben, die lange in mir geschlummert hatte, kam ans Tageslicht. Im November desselben Jahres schrieb ich fünf Gedichte und legte sie Bhagavan zu Füßen. 1943 verfasste ich einige Lieder, die sein Leben beschreiben und Chandramma, eine telugische Devotee, sang sie ihm mit ihrer lieblichen Stimme vor.
Als er am Nachmittag seinen Spaziergang auf den Berg machte, sagte er zu seinem Gehilfen Rangaswami: »Die Leute schreiben, dass ich dieser oder jener Avatar sei. Weißt du, was Nagamma geschrieben hat? ›Er ist das allgegenwärtige, allmächtige Selbst. Er wurde dazu geboren, uns den Weg zur Verwirklichung des Selbst zu zeigen.‹ Sie ist von Vijayawada gekommen und lebt hier ganz alleine und sie hat so etwas geschrieben. Was können wir dazu sagen? Die Art der Leute drückt sich ihren Neigungen entsprechend aus. Dies entspricht ihrer Neigung.“

Einige Tage später schrieb ich vier weitere Strophen und legte sie Bhagavan vor. Als er sie las, lachte er in sich hinein. Da fragte Rajagopala Iyer Bhagavan, was ich geschrieben hätte. »Es ist ein Gebet aus vier Strophen. Die zweite Strophe ist amüsant. Es heißt dort, dass ich keine Affen mehr habe, die mir dienen, seit ich mich hier unten niedergelassen habe. ‚Warum also willst du nicht meinen Geist als einen Affen annehmen, der dir dient? Dieser Affe jagt materiellen Dingen nach. Binde ihn an oder züchtige ihn, aber gib Acht, dass er dir zu Diensten ist!’ Das ist der Gedanke. Shankara hat einen ähnlichen Vers geschrieben: ›Oh Shankara, du bist ein Bettler. Warum bindest du meinen Geist, der bekanntlich ein Affe ist, nicht an deinem Bettelstab fest und gehst mit ihm betteln? Du wirst mit ihm jede Menge Almosen erhalten.‹«


Das Schenken von Wissen

1943 wurde mein Bruder von Ahmedabad nach Madras versetzt. Während der zwei Jahre, die ich inzwischen im Ashram verbracht hatte, hatte ich mein Heimatdorf zwei- oder dreimal besucht, aber bislang war noch niemand aus meiner Familie in den Ashram gekommen. Kurz nachdem mein Bruder nach Madras gezogen war, kam er her. Bhagavan fragte mich, ob er mein ältester oder zweitältester Bruder sei. Ich sagte ihm, er sei mein zweitältester Bruder. 15 Tage später kehrte mein Bruder zum Ashram zurück und brachte diesmal auch seine Familie mit. Sie blieben einige Tage. Beim Abschied baten sie mich, sie nach Madras zu begleiten. Ich hatte aber auch einen Brief von meinem ältesten Bruder in Vijayawada erhalten, der mich ebenfalls einlud.
Als Bhagavan vom Kuhstall zurückgekehrt war, ging ich zu ihm und erzählte ihm, dass mich meine Verwandten eingeladen hätten und dass ich befürchtete, wieder in den Strudel ihrer Familienangelegenheiten hineinzugeraten. Bhagavan erwiderte: »Wenn jeder in uns hineinfällt, wie können wir dann in die anderen hineinfallen?« und ging weiter. Ich erinnerte mich an seine Lehre: »Die Welt ist in uns. Wir sind nicht in der Welt.« Damals verstand ich aber noch nicht genau, was er damit sagen wollte.

In Madras erhielten wir einen Brief von meinem ältesten Bruder in Vijayawada. Er teilte uns mit, dass er und seine Frau nach Madras kommen würden. Wenn Nagamma da sei, solle sie auf sie warten und sie zum Ashram begleiten. Ich war sehr überrascht. Erst jetzt verstand ich, dass Bhagavan gemeint hatte: »Wenn alle hierher kommen, warum gehst du dann dorthin?«
Ich wartete auf sie und kam mit ihnen bereits vier Tage später zum Ashram zurück. Bhagavan sagte zu den Leuten in seiner Nähe: »Oh, Nagamma ist schon so früh zurück!« Ich war sehr glücklich und stellte ihm meinen ältesten Bruder und meine Schwägerin vor.

Ich verbrachte die ganze Zeit mit meinen Verwandten. Mein Bruder sah sich mein kleines Zimmer in der Stadt an und meinte, dass es zu klein sei. Er mietete für mich ein Zimmer in Kunju Swamis Haus, brachte meine Habseligkeiten dorthin und sagte zu Bhagavan, dass ich im Ashram bleiben könne. Da ich jetzt in der Nähe des Ashrams wohnte, musste ich nicht mehr die weiten Wege gehen und konnte dort mehr Zeit verbringen.

Bevor ich mich dem Ashram angeschlossen hatte, hatte ich Artikel für telugische Zeitschriften geschrieben und bekam immer noch die Freiexemplare. Ich veranlasste, dass sie mir an meine Ashram-Adresse geschickt wurden. Als Bhagavan die Zeitschriften sah, fragte er: »Schreibst du Artikel für Zeitschriften?« Ich antwortete: »Ich habe das gelegentlich getan, aber jetzt damit aufgehört. Dennoch erhalte ich weiterhin die Zeitschriften. Ich dachte, alle könnten sie lesen, wenn sie an den Ashram gesandt würden. Deshalb habe ich es veranlasst.« »Ach, tatsächlich!«, erwiderte Bhagavan mit einem Lachen.

Einige Tage später kam Chinta Dikshitulu zu Bhagavans Darshan. Ich war ihm nie zuvor begegnet. Nach dem abendlichen Veda-Parayana stellte Bhagavan mich ihm vor. Bhagavan sagte zu Dikshitulu: »Nagamma ist von Vijayawada hierher gekommen und dageblieben. Sie schenkt der Öffentlichkeit philosophisches Wissen, indem sie Artikel für Zeitschriften schreibt.« Diskhitulu erzählte es mir und meinte: »Sieh nur, wie schön Bhagavan es formuliert hat: Du schenkst Wissen.«


Dienst in Bhagavans Halle

In den ersten Monaten, die ich in meiner neuen Unterkunft verbrachte, beschloss Rani Prabhavati, ihre Sanskrit-Verse, die sie Bhagavan zu Ehren geschrieben hatte, zu veröffentlichen. Sie ließ ihre Gedichte von Jagadeeswara Sastri korrigieren. Es stellte sich heraus, dass auch viele Telugu-Verse darunter waren. Bhagavan wandte sich an mich und sagte wiederholt, dass es gut wäre, wenn jemand diese Verse abschreiben würde. Jagadeeswara Sastri meinte, dass diese Arbeit mir anvertraut werden könnte.
Da ich die Unterhaltung nicht richtig hören konnte, fragte ich Jagadeeswara Sastri. Er erzählte mir, dass Bhagavan es gerne hätte, wenn jemand alle Telugu-Verse abschriebe. Ich sagte ihm, dass ich die Arbeit übernehmen könnte, aber unsicher sei, ob das nicht anmaßend wäre. Jagadeeswara Sastri meinte: »Bhagavan hat es vorgeschlagen und dabei an dich gedacht. Frage ihn morgen und sieh, ob er dich mit der Aufgabe betraut oder nicht.«

Als Bhagavan am nächsten Morgen von seinem Spaziergang auf den Berg zurückgekehrt war und sich auf seinen Platz in der Halle gesetzt hatte, ging ich zu ihm und blieb in der Nähe seines Sofas stehen. Er sah mich fragend an. Ich sagte: »Es wäre schön, wenn jemand die Telugu-Verse abschreiben würde.« »Ja«, antwortete er. »Aber wer wird es tun und wann?« Ich bot ihm an, es zu übernehmen. Er erwiderte: »Also gut. Nur zu! Du wirst dafür ein Notizbuch benötigen, nicht war?« Ich bejahte. Er sagte zu Rajagopala Iyer: »Nagamma sagt, sie wird die Verse in Telugu abschreiben. Gib ihr die Verse und auch ein großes gebundenes Notizbuch.« Als der Gehilfe weißes Papier und ein großes gebundenes Notizbuch brachte, überreichte Bhagavan es mir persönlich.
Von diesem Tag an hörte er damit auf, die telugischen Gedichte, die er immer wieder erhielt, selbst zu lesen und ich durfte sie ihm vorlesen. Ich schrieb sie dann auch ab.

Später war es meine Aufgabe, die Bücher für die Bibliothek auszugeben und zurückzunehmen. Außerdem kümmerte ich mich bei festlichen Anlässen für einen geordneten Ablauf bei den vielen weiblichen Devotees, die zu seinem Darshan kamen. Durch diese Arbeiten wurde ich mit der Atmosphäre in Bhagavans Halle vertraut und in der Telugu-Literatur bewandert.


Meine schriftstellerische Tätigkeit

Nach etwa sechs Monaten zog ich in ein Haus in Raju Chettys Anwesen, wo ich die ideale Atmosphäre für meine schriftstellerische Tätigkeit vorfand. Wenn ich im Ashram keine Arbeit hatte, war ich mit Lesen und Schreiben von Gedichten beschäftigt.
Zwischen 1943 und 1945 verfasste ich mehrere Gedichte. Ich schrieb alle Gedichte in ein gebundenes Notizbuch und zeigte es Srinivasa Mouni, einem telugischen Ashrambewohner. Sie gefielen ihm und er schrieb auf den Umschlag des Notizbuches ›Ramana Karuna Vilasam‹. An einem Neujahrfest legte ich das Notizbuch Bhagavan zu Füßen. An einem späteren Fest, als auch mein Bruder und seine Frau da waren, widmete ich dem Meister ein anderes Gedicht von 108 Versen, das ich ›Balakrishna Gitavali‹ genannt hatte. Bei einer weiteren Gelegenheit widmete ich ihm mein ›Ramana Satakam‹. Später schrieb ich einige Lieder und kurze Geschichten, eine dichterische Beschreibungen des Festes zum Goldenen Jubiläum[2] und etwas über die Kuh Lakshmi. Das alles blieb unveröffentlicht.

Nachdem mein Bruder nach Madras umgezogen war, kam er regelmäßig in seinem Urlaub. Manchmal brachte er auch einige Freunde mit. Ich erzählte ihm von den Gesprächen mit Bhagavan und er meinte, dass es gut wäre, wenn all diese Ereignisse in einem Buch gesammelt würden. Vor meiner Zeit im Ashram hatte Munagala Venkataramayya mit einem englisches Tagebuch begonnen und alle Geschehnisse aufgeschrieben, hatte aber später aus verschiedenen Gründen damit aufhören müssen. Seine Mitschriften lagen unberührt bei den Unterlagen des Ashrams.[3] Ich erwiderte, dass es eine schwierige Aufgabe sei, die am besten von jemand anderem, vorzugsweise von einem männlichen Devotee übernommen werden sollte. Schließlich wurde Devaraja Mudaliar dazu überredet, ein Tagebuch in Englisch zu führen und erhielt dafür die Erlaubnis der Verantwortlichen im Ashram. Es wurde später vom Ramanashram als ›Day by Day with Bhagavan‹ veröffentlicht.[4]


Briefe aus dem Ramanashram

Mein Bruder meinte, es spiele keine Rolle wie viele Leute die täglichen Ereignisse bei Bhagavan festhielten. Ich war nicht darin geübt, ein Tagebuch zu führen und mein Versuch scheiterte. Ich sagte zu meinem Bruder, es habe keinen Zweck. Er meinte: »Du brauchst kein Tagebuch zu führen. Du schreibst mir sowieso Briefe über die verschiedenen Ereignisse bei Bhagavan. Schreibe mir weiterhin solche Briefe, aber behalte sie bei dir. Wir werden später darüber entscheiden, was wir mit ihnen tun werden. Wenn nötig können wir sie überarbeiten.«
Auch andere Devotees baten mich wiederholt darum zu schreiben. »Du bist die einzige aus Andhra Pradesh, die hier wohnt. Nimm die Stimme Bhagavans in dich auf und gib sie an uns weiter.«
Ich willigte ein und begann im November 1945 mit dem Schreiben, nachdem ich im Stillen zu Bhagavan um ein gutes Gelingen gebetet hatte. Ich hatte nicht den Mut, es ihm offen zu sagen.

Da ich daran zweifelte, ob die Briefe überhaupt nützlich und gefragt sein würden, wollte ich die Sache geheim halten, aber dann geschah etwas Unerwartetes – wie es in dem Sprichwort heißt: »Der Mensch denkt und Gott lenkt.« Im Skandashram fand ein Picknick statt, an dem auch Bhagavan teilnahm. Ich hatte darüber einen ausführlichen Bericht in drei Briefen verfasst[5]. Als ich eines Abends auf der Veranda vor meinem Haus saß und sie überarbeitete, kam Devaraja Mudaliar vorbei und fragte mich, was das für Schriftstücke seien. Ich sagte es ihm. Da bat er mich, sie ihm vorzulesen. Die Geschichte gefiel ihm und er verriet es Bhagavan.

Als ich am nächsten Tag zu Bhagavan kam, sagte der Meister: »Ich habe gehört, dass du einen vollständigen Bericht über unseren Ausflug zum Skandashram geschrieben hast.« Ich fragte ihn, wer ihm davon erzählt habe. »Mudaliar hat es mir gesagt. Wo ist der Bericht?« Da ich die Angelegenheit nicht länger vor ihm geheim halten konnte, machte ich eine Abschrift und brachte sie noch am selben Abend in den Ashram. Bhagavan wollte, dass ich die Briefe sofort vorlas. Im ersten Brief hatte ich über Bhagavan folgendes geschrieben: »Was hat er schon? Ein Spazierstock, ein Wasserkrug und ein Lendentuch – das ist sein ganzer Besitz.« Bhagavan meinte scherzend: »Ach, und was ist mit dem Handtuch?« Alle lachten. Daraufhin fügte ich auch das Handtuch zu seinen Besitztümern hinzu.

Als mein Bruder D.S. Sastri wenige Tage später zu Bhagavans Darshan kam, versprach er, die Briefe für die Devotees ins Englische zu übersetzen. Inzwischen hatte ich insgesamt 10 Briefe verfasst. Er nahm alle Durchschläge mit, fand aber keine Zeit für die Übersetzung.

Neelamraju Seshayya hatte mit der Herausgabe der telugischen Zeitschrift ›Navadaya‹ begonnen und bat meinen Bruder, einen Artikel beizusteuern. Mein Bruder erwiderte, er habe keine Zeit, aber er könne meine Briefe weitergeben, wenn sie für die Zeitschrift geeignet seien. Seshayya nahm gerne an und veröffentlichte sie als ›Briefe aus dem Ramanashram‹.
Als das erste Heft der Zeitschrift im Ashram eintraf, sah Bhagavan den veröffentlichten Brief und bemerkte zu jemandem, der in seiner Nähe saß: »Sieh her! Es ist wie bei Ramakrishna. Vielleicht wird jetzt alles was wir sagen veröffentlicht. Nagamma hat mit dem Schreiben begonnen und sie haben damit begonnen, ihre Briefe zu veröffentlichen.« Dann zeigte er allen Anwesenden die Zeitschrift.


Die Briefe von Veluri Sivarama Sastri

Im ersten Heft von ›Navadaya‹ waren vier Briefe veröffentlicht worden. Veluri Sivarama Sastri schrieb mir sofort. Ich war aufgeregt, als ich seinen Brief sah. Er hatte mir früher geraten, nichts vorschnell zu veröffentlichen. Da die Briefe ohne ordentliche Prüfung veröffentlicht worden waren, befürchtete ich, er würde mich deswegen tadeln. Doch als ich seinen Brief las, war ich angenehm überrascht.
Er schrieb: »Dhanyasi (Du bist glücklich zu preisen!) Voller Freude habe ich deine ›Briefe vom Ramanashram‹ gelesen. Obwohl wir von diesem Mahapurusha weit weg wohnen, haben uns deine Briefe an den Ereignissen teilhaben lassen. Bitte mach diejenigen, die weit weg wohnen, weiterhin so glücklich. Obwohl ich Augen habe, bin ich doch blind. Obwohl ich Beine habe, bin ich lahm. Ich bitte dich, Menschen wie mich nicht nur zum Ashram mitzunehmen, sondern auch ins innerste Herz des Maharshi.«

Mit zitternden Händen gab ich Bhagavan den Brief. Er las ihn durch und übersetzte ihn für Rajagopala Iyer Zeile für Zeile ins Tamil. Iyer fragte nach der Bedeutung von ›Dhanyasi‹. »Es bedeutet: ›Du bist glücklich zu preisen‹«, erwiderte Bhagavan. Ich machte von dem Brief eine Abschrift und sandte ihn meinem Bruder in Madras. Bald darauf antwortete ich Sivarama Sastri, worauf er mir wiederum schrieb.

Sein zweiter Brief lautete folgendermaßen: »Ich kenne nur die vier Briefe, die im ›Navodaya‹ erschienen sind. Ich würde auch die anderen gerne sehen. Du schreibst, dass du über mein unerwartetes Lob überrascht gewesen bist. Ich muss deinen Bruder loben, der dich ermutigt hat, diese Briefe zu schreiben. Sie sind von unschätzbarem Wert. Sie sind ständige Erinnerungshilfen für jene, die immer wieder vergessen. Die Verantwortung, diese Briefe zu veröffentlichen, liegt in der Hand deines Bruders. Du hast mir geschrieben, dass mein Brief Bhagavan ins Herz getroffen hat. Mein Joch wurde mir dadurch leichter, ja sogar viel leichter. Dass du in seiner Nähe wohnst, ist für uns ein großer Glücksfall. Bitte übermittle ihm meine tiefe Verehrung.«

Ich gab Bhagavan auch diesen zweiten Brief. Er las ihn langsam durch und meinte dann: »Er sagt, es wäre gut, wenn die Briefe in Buchform erscheinen würden. Wie auch immer, schick auch diesen Brief deinem Bruder.« Dann gab er den Brief Balarama Reddy, einem Herrn aus Andra Pradesh, der sehr an Bhagavan hängt und den Ashram häufig besucht. Balarama Reddy meinte: »Wenn Sivarama Sastri diese Briefe so sehr schätzt, muss man davon ausgehen, dass sie sehr wertvoll sind.« Rajagopala Iyer fragte ihn, wer Sivarama Sastri sei. Balarama Reddy erwiderte, er sei ein angesehener Dichter in Andhra Pradesh und ein großer Gelehrter und käme sofort nach Ganapati Muni.

Als mein Bruder die Abschrift des zweiten Briefes von Sivarama Sastri erhalten hatte, fasste er es als göttlichen Willen auf und schrieb dem Ashram, dass er alle Kosten für die Veröffentlichung der Briefe übernehmen werde. Als der Ashram seine Zustimmung gegeben hatte, traf er die nötigen Vorbereitungen, damit sie zu Bhagavans Geburtstag 1947 erscheinen konnten. Unglücklicherweise konnte die Druckerei den Termin nicht einhalten und in der Zwischenzeit geschahen weitere interessante Ereignisse in Bhagavans Gegenwart.


Interessante Ereignisse

Während der Feierlichkeiten zum Goldenen Jubiläum im September 1946 brachte der Inhaber des Wellington-Kinos in Madras drei Kinofilme zum Ashram. Man traf Vorbereitungen, sie an drei aufeinander folgenden Tagen nach dem Abendessen im Speisesaal zu zeigen. Alle im Ashram waren aufgeregt. Ich wurde auch eingeladen, mir die Filme anzusehen, aber da ich nicht ins Kino gehe, lehnte ich ab. Einige Devotees meinten: »Wenn sogar Bhagavan sich die Filme ansieht, welche Bedenken kannst du dann haben?« »Für Bhagavan ist es etwas anderes«, erwiderte ich mit Nachdruck. »Er ist ein großer Weiser, der alles von Brahman erfüllt sieht. Sein Blick ist wie der mächtige Ganges. Was immer in diesen Strom fällt, wird fortgeschwemmt. Er ist ein Siddhapurusha und deshalb ist er keinen Regeln unterworfen. Für einen Sadhaka, wie ich es einer bin, ist das nicht der Fall. Deshalb kann ich mir diese Filme nicht ansehen.«

Obwohl einige andere ebenfalls wegblieben, sahen sich alle Übrigen die Filme an. Währenddessen beendete ich meinen Bericht über das Goldene Jubiläum. Als der ganze Umtrieb vorbei war, las ich die Briefe in der Halle vor. Rajagopala Iyer kam noch am selben Abend zu mir, um mir zu erzählen, dass Bhagavan gesagte habe, es wäre gut, wenn ich davon berichten würde.
Ich war immer noch nicht davon überzeugt, dass es sich gehörte, im Ashram des Maharshi Filme zu zeigen und wusste nicht, was ich tun sollte. Da fragte ich Bhagavan. Er antwortete: »Wenn das so ist, dann gibt den Gedanken daran auf.« »Aber Bhagavan will doch, dass die Vorführung in diesen Briefen erwähnt wird«, platzte ich heraus. »Wie seltsam«, erwiderte er. »Die Leute haben gemeint, dass es nett wäre, wenn es hinzugefügt werden könnte. Da habe ich ihnen geantwortet: ›Dann geht zu Nagamma und sagt es ihr.‹ Ich habe aber nie gesagt, dass die Vorführung in den Briefen erwähnt werden müsste.« Ich war sehr erleichtert. Es war also keine direkte Anweisung von Bhagavan.
Die Briefe wurden ohne Erwähnung der Filmvorführung zur Veröffentlichung an die Zeitschrift gesandt. Von dem Gespräch zwischen mir und Bhagavan erfuhr niemand.

Das Besitzer des Wellington-Kinos und einige Ashrambewohner beschlossen, dass noch weitere 15 Filme gezeigt werden sollten. Einer von Bhagavans Helfern behauptete, dass Bhagavan sein Einverständnis gegeben habe, was mich völlig verwirrte. Ich sprach mit einigen anderen darüber, die ebenfalls beunruhigt waren, und schlug vor, zu Bhagavan zu gehen und mit ihm zu reden. Sie meinten, man müsse dazu eine passende Gelegenheit abwarten.

Am zweiten Tag der Filmvorführung warfen die Rowdys der Stadt Steine an den Speisesaal, da sie sich die Filme nicht anschauen durften. Wir baten den Sarvadhikari, die Vorführung sofort abzubrechen. Doch jene, die an den Filmen interessiert waren, argumentierten damit, dass die Ashramverwaltung die Filme genehmigt hätte und deshalb alle Filme gezeigt werden sollten.
Es gab einen Streit vor der Halle. Als Rojagopala Iyer Bhagavan von dem Streit erzählte, schaltete sich Muruganar ein und meinte: »Machen wir uns nicht zum Gespött, wenn im Ashram eines Rishi Kinofilme gezeigt werden? Bhagavan macht es nichts aus, was immer er auch sehen mag, aber für die Sadhakas ist es nicht dasselbe. Es muss damit ein Ende haben.« Bhagavan stimmte ihm zu: »Ja, so ist es. Ich habe ihnen von Anfang an gesagt, sie sollten sich nicht um diese Kinofilme kümmern, aber sie sagten: ›Wir müssen sie Bhagavan zeigen.‹ Also habe ich mir die ersten Filme angesehen. Dann wollten sie 15 weitere Filme bringen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich nicht darum kümmern sollten, aber sie meinten, dass alle die Filme sehen wollten und der Sarvadhikari damit einverstanden sei. Ich sagte zu ihnen, in diesem Fall könnten sie machen was sie wollten. Sie haben meine Warnung nicht beachtet. Jetzt seht bloß, was für ein Ärgernis daraus entstanden ist.«
Diese Antwort Bhagavans klärte die Angelegenheit. Ich war sehr froh. Der Sarvadhikari ordnete an, dass die Filmvorführung sofort abgebrochen werden musste und am nächsten Morgen war es wieder still und friedvoll im Ashram.

Etwa um dieselbe Zeit war eine junge Frau aus Andhra Pradesh für einige Zeit im Ashram. Sie hatte eine gute Stimme und konnte wundervoll singen. Da die Leute gerne Lieder über Bhagavan vortragen, wollte sie das auch tun und sang Lieder von Gelehrten aus Andhra Pradesh vor. Den Namen ›Rama‹ ersetzte sie immer durch ›Ramana‹. Da diese Lieder eine tiefe Bedeutung haben und sie eine hervorragende Sängerin war, genossen alle ihren Vortrag. Bhagavan bemerkte, dass sie ›Rama‹ durch ›Ramana‹ ersetzt hatte. Ich bemerkte es ebenfalls, aber da sie so voller Hingabe sang, sagte ich nichts. Sie behauptete, sie selbst hätte diese Lieder geschrieben.
Einige Devotees baten sie, die Lieder aufzuschreiben, damit man sie ins Englische übersetzten konnte. Sie zeigte sie Bhagavan und fragte ihn, ob sie ins Englische übersetzt werden dürften. Bhagavan sagte nichts, sondern gab sie an Munagala Venkataramayya weiter, der einwilligte, diese Aufgabe zu übernehmen
Doch Venkataramayyas Telugu-Kenntnis war begrenzt. Er hatte Schwierigkeiten mit der Übersetzung, besonders da die Lieder viele Wörter enthielten, die mehrere Bedeutungen haben. Er fragte mich nach der Bedeutung einiger schwieriger Wörter. Da fragte ich ihn, ob er sicher sei, dass dies Lieder über Bhagavan seien. Er antwortete: »Nur deshalb kümmere ich mich darum.« Da erklärte ich ihm, dass diese Lieder von Gelehrten aus alten Zeiten stammten und Rama gewidmet seien. Er erzählte es sofort Bhagavan. Bhagavan lächelte und sagte: »Ach, tatsächlich. Die Sprache der Lieder und die großen Gedanken, die dahinter stecken, haben mich vermuten lassen, dass sie von einem Gelehrten aus alten Zeiten stammen. Sie hat nur ›Rama‹ durch ›Ramana‹ ersetzt. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Beide Wörter haben dieselbe Bedeutung. Auch der Reim passt. Wirst du trotzdem mit der Übersetzung weitermachen?«

Bhagavan sah die Devotees an und fuhr fort: »Perumal Swami hat einmal etwas ähnliches getan. Als ich den Berg herunterkam, um hier unten zu wohnen, brachte er immer aus der Stadt etwas zu Essen mit. Eines Tages schrieb er einen Vers auf ein Stück Papier und brachte ihn mir. Als ich ihn fragte, ob er ihn selbst geschrieben habe, bejahte er. Ich fand ihn sehr gut. Zu jener Zeit kümmerte sich Muruganar um alle Gedichte und deshalb bat ich ihn, den Vers in ein Notizbuch zu schreiben.
Vier Tage später brachte Perumal Swami einen weiteren Vers. Als jeder seine Dichtung lobte, freute er sich sehr und brachte jeden vierten Tag einen neuen Vers mit. Wenn er damit in Verzug war, fragte ich ihn: ›Hast du wieder etwas geschrieben?‹ Er brachte dann den nächsten Vers einige Tage später. Wir haben auf diese Weise neun Verse erhalten. Der zehnte Vers kam mir bekannt vor und ich bat Muruganar, mir das Buch ›Tiruvanul Paven‹ zu bringen. Darin entdeckte ich alle Verse, nur dass das Wort ›Rama‹ durch ›Ramana‹ ersetzt und an manchen Stellen etwas verändert worden war. Ich zeigte es Muruganar. Er schrieb die Verse nicht mehr ab und erzählte es den Leuten in der Halle. Alle lachten. Der arme Kerl! Purumal Swami saß ganz beschämt in einer Ecke.
Die Leute meinen immer, sie sollten etwas schreiben oder vorsingen. Die Dichter unter ihnen schreiben selbst etwas, die anderen schreiben etwas ab und ersetzen ›Rama‹ durch ›Ramana‹. Was ist daran verkehrt? Rama und Ramana sind ein- und dasselbe.«

Im Januar 1947 veröffentlichte eine Zeitschrift eine Rezension über das ›Tiruchuli Puranam‹. Sie enthielt ein Gedicht mit Kommentar. Ich wollte das Gedicht verstehen und bat Bhagavan, es ins Telugu zu übersetzen. Daraufhin schrieb er das ›Ekatma Panchakam‹ (Fünf Verse über das Selbst).[6] Zunächst sagte er widerwillig: »Ihr Leute werdet Fehler finden, die korrigiert werden müssen. Wozu soll ich etwas schreiben?«[7] Ich versicherte ihm, dass es keine Korrekturen geben würde, da das, was ein Weiser schreibt, unter keinen Umständen geändert werden sollte.

Als ich die Verse einigen telugischen Freunden zeigte, meinten sie, es seien wegen des Versmaßes einige Änderungen nötig, aber ich war nicht damit einverstanden. Ich sandte sie an Veluri Sivarama Sastri und berichtete ihm von den Einwänden meiner Freunde. Er antwortete: »Die Worte eines Weisen sind den Veden vergleichbar. Sie sollten nicht verändert oder korrigiert werden.«
Ich zeigte den Brief meinen Freunden, aber sie waren immer noch nicht zufrieden, sondern gingen zu Bhagavan und sagten: »Hier ist eine Änderung nötig und dieses Wort sollte man besser gegen ein anderes austauschen« usf. Bhagavan sagte lediglich: »Macht es wie ihr wollt.«

Am Abend sagte der Meister zu mir: »Du hast mich gebeten, etwas in Telugu zu schreiben und jetzt sagen deine Leute, es müsste korrigiert werden. Genau aus diesem Grund wollte ich nichts schreiben.« Ich war sehr aufgebracht. Da es keinen Zweck hatte, mit meinen Freunden zu streiten, ging ich zu Bhagavan, als nur wenige Leute bei ihm waren, und fragte ihn, was ich jetzt machen sollte. Als ob er mich prüfen wollte fragte er: »Was kümmert es dich, ob Korrekturen gemacht werden?« »Ich bin damit nicht einverstanden«, erwiderte ich. »Ich habe keinen, der mich darin unterstützt und deshalb muss Bhagavan selbst dafür sorgen, dass nichts verändert wird.« Bhagavan schwieg.
Die korrigierten Verse wurden an die Druckerei geschickt. Am Tag, als der Korrekturabzug kam, waren zufällig mehrere angesehene telugische Autoren im Ashram. Ich war an diesem Tag aus irgendeinem Grund zuhause geblieben. Bhagavan gab den Korrekturabzug an sie weiter und sagte: »Die telugischen Leute hier waren der Ansicht, dass Korrekturen nötig waren und haben die Verse korrigiert an die Druckerei geschickt. Nagamma sagt, sie sollten nicht verändert werden. Jetzt ist der Korrekturabzug da. Macht es wie ihr wollt. Entscheidet ihr.« Sie beschlossen einmütig, dass nichts geändert werden sollte. Sie sahen sich den Originaltext an, änderten den Korrekturabzug entsprechend ab und gaben ihn an die Druckerei zurück. So wurde schließlich durch Bhagavans Segen das Gedicht unverändert gedruckt, wie ich es mir gewünscht hatte.


[Ekatma Panchakam - Fünf Verse über das Selbst

1. Wenn man das Selbst vergisst und glaubt,dass man der Körper ist, durch unzählige Geburten gehtund sich schließlich erinnert und das Selbst wird,so ist es wie das Erwachen aus einem Traum,in dem man um die ganze Welt gewandert ist.2. Man ist immer das Selbst.Wenn man sich fragt: ‚Wer bin ich und wo bin ich?’,ist es wie wenn ein Betrunkener fragt: „Wer und wo bin ich?“3. Der Körper ist im Selbst.Und doch denken wir, dass wir in diesem trägen Körper sind,wie ein Zuschauer, der annimmt, dass die Leinwand,auf die das Bild geworfen wird, im Bild ist.4. Kann ein goldenes Schmuckstück ohne das Gold existieren?Kann der Körper unabhängig vom Selbst existieren?Der Unwissende glaubt: „Ich bin der Körper“,während der Erleuchtete weiß: „Ich bin das Selbst“.
5. Das Selbst allein ist die einzige Wirklichkeitund existiert für immer.Wenn der erste Lehrer in alten Zeiten [Dakshinamurti]
es in ununterbrochenem Schweigen enthüllt hat,sag, wer könnte es dann in Worten enthüllen?][8]


Hindernisse

Wie ich schon erwähnt habe, war Teil I der ›Briefe aus dem Sri Ramanasramam‹ zu Bhagavans Geburtstagsfeier nicht rechtzeitig fertig geworden. Im Juli 1947 ging ich nach Madras, da ich dort einiges zu erledigen hatte. Als ich nach vier Tagen zurückkam, sagte mir mein Bruder, dass ich 12 Exemplare des Buches mit zum Ashram nehmen könnte. Den Rest würde die Druckerei direkt zum Ashram schicken.

Am Morgen des 4. Juli legte ich die 12 Exemplare Bhagavan zu Füßen. Wenn ein Buch frisch aus der Druckerei kam, las er es normalerweise sofort. Ich dachte, mit meinem Buch würde es ebenso sein, aber er sprach mich nicht darauf an. Ich sagte zu ihm, dass ich es unbedingt in seiner Gegenwart vorlesen wollte, aber er meinte nur: »Zuerst sollen alle anderen Exemplare eintreffen, dann werden wir sehen.« Ich fragte Chinnaswami, aber er vertröstete mich jedes Mal unter irgendeinem Vorwand. So vergingen zwei Wochen. Inzwischen waren 1000 Exemplare aus der Druckerei gekommen. Das Buch erhielt hervorragende Rezensionen in den Zeitschriften und es trafen von überall her Bestellungen ein.

Es kam mir nicht in den Sinn, dass sich unter einigen der Ashrambewohner Neid und Eifersucht breit machten. Ich wollte das Buch unbedingt in Bhagavans Gegenwart vorlesen. Da Chinnaswami trotz allem ein gutes Herz hat, konnte ich ihn doch noch dazu überreden, dass er seine Einwilligung gab. Am 20. Juli begann ich mit dem Vorlesen. Ich las in drei Tagen etwa die Hälfte des Buches vor. Bhagavan hörte interessiert zu und erzählte uns noch mehr Einzelheiten über die Vorfälle in den Briefen. Die meisten Leute in der Halle genossen es. Aber andere waren neidisch und setzten Chinnaswami unter Druck, dass ich mit dem Lesen aufhören sollte.

Am dritten Tag wurde ich ins Büro zitiert. Chinnaswami sagte: »Hör sofort damit auf.« Als die Leute am nächsten Nachmittag darauf warteten, dass ich weiterlesen würde, tat ich es nicht. Bhagavan fragte: »Warum liest du nicht weiter?« »Chinnaswami hat mir gesagt, ich solle damit aufhören«, erwiderte ich. »Ach«, meinte er und sah Rajagopala Iyer an, der in seiner Nähe war. »Das ist seltsam. Wir sollten niemanden mehr bitten vorzulesen.« Rajagopala Iyer ging ins Büro und wiederholte, was Bhagavan gesagt hatte. Da erklärte Chinnaswami, dass er nicht das Vorlesen verboten habe, sondern das weitere Verfassen von Briefen.

Am folgenden Tag fuhr ich mit dem Vorlesen fort und war in drei Tagen damit fertig. Dann wurde ich erneut ins Büro zitiert und Chinnaswami verbot mir in aller Strenge, keine weiteren Briefe mehr zu schreiben und ihm alles zu übergeben, was ich bis jetzt geschrieben hatte. Er wollte auch, dass ich ihm die Bibliotheksschlüssel aushändigte. Ich erwiderte, dass mein Bruder mich gebeten hatte, die Briefe zu schreiben und dass ich sie ihm übergeben würde, wenn er das nächste Mal den Ashram besuchte. Chinnaswami hörte mir nicht zu und bestand darauf, dass ich ihm die Briefe sofort aushändigen sollte. Ich war verwirrt und untröstlich. Ich erzählte Bhagavan, dass ich auch meine Bibliotheksschlüssel abgeben musste und gab sie ihm. Er nahm sie entgegen und meinte: »Mach dir nichts daraus. Lass diese Arbeit gehen.«

Ich gab die Arbeit in der Bibliothek ohne großes Bedauern auf, aber ich war sehr traurig, dass ich alle Briefe, die ich bei mir hatte, hergeben sollte. Ich hatte bereits davon gehört, dass die Verantwortlichen im Ashram vor einigen Jahren auch das Tagebuch von Venkataramayya beschlagnahmt hatten. Deshalb hatte mein Bruder vor einer Woche vorsichtshalber die Originalbriefe, die den zweiten Teil bilden sollten, mitgenommen und ich hatte nur noch die Durchschläge bei mir.

Ich spürte, dass ich trotzdem gehorchen sollte. Aber wenn ich die Briefe einmal an das Büro ausgehändigt hätte, würde Bhagavan sie vermutlich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich glaubte deshalb, es sei besser, wenn der Meister sie sah, bevor ich sie ablieferte. Am nächsten Morgen bündelte ich die Briefe und ging mit meiner Schwägerin in die Halle. Bhagavan saß mit ausgestreckten Beinen auf seinem Sofa. Es war völlig still in der Halle. Ich zitterte am ganzen Leib, legte ihm die Briefe zu Füßen, faltete die Hände und sagte mit zitternder Stimme: »Hier sind die Briefe. Man hat mich gebeten, sie dem Ashram auszuhändigen. Es ist der Schatz meines Herzens. Bhagavan kann damit tun, was er mag. Ich habe diese Arbeit nicht für Ruhm oder Wohlstand getan.« Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Bhagavan sah mich voller Anteilnahme an und nahm das Bündel mit beiden Händen entgegen. Er übergab es Rajagopala Iyer und sagte: »Da sind sie. Sie hat all ihre Briefe ordentlich gebündelt. Gib sie im Büro ab.«
Ich wischte mir die Tränen ab und setzte mich in die vordere Reihe, die für die Frauen reserviert ist. Meine Schwägerin saß neben mir. Meine Tränen hörten nicht zu fließen auf. Meine Schwägerin versuchte mich zu trösten und erzählte Bhagavan: »Seit Nagamma diese Briefe schreibt, kennt sie keinen Schlaf mehr. Sie ist darin völlig aufgegangen.« Bhagavan nickte und schwieg. Als Rajagopal aus dem Büro zurückkam, bat er mich um die Originale. Ich erklärte ihm, dass mein Bruder sie bei seinem letzten Besuch mit nach Madras genommen hatte. Bhagavan beobachtete alles und sagte nichts.

Seit mir die Arbeit in der Bibliothek weggenommen worden war und ich keine Briefe mehr schreiben durfte, wollte ich auch nicht mehr im Ashram helfen. Ich hatte nichts mehr zu tun und keine Gelegenheit mehr, mit Bhagavan zu sprechen und seinen Rat zu suchen. Als meine Schwägerin fort war, breitete sich ein Gefühl der Leere in mir aus und mir wurde die Zeit lang. Nach etwa zehn Tagen spürte ich, dass mich das verrückt machte.

Ich hatte Chintu Dikshitulu über alles geschrieben und fügte einen halben Vierzeiler in Telugu bei mit der Bitte, ihn zu ergänzen. Der Vers lautete:
»Er ist die Stärke für die Schwachen.
Sollte er ihnen da nicht die Kraft geben, um die sie ihn bitten?«
Er ergänzte:
»Jene, die sich selbst nicht kennen, sind schwach.
Jene, die sich kennen, sind demütig.«

Da fasste ich neuen Mut. Ich schrieb neun Verse und legte sie Bhagavan zu Füßen. Er legte sie auf das Regal, sagte aber nichts. Später dichtete ich ein Lied. Es war eine eindringliche Bitte an den Meister, mir zu helfen, aber auch darauf bekam ich keine Antwort. Ich war so deprimiert, dass ich sterben wollte. Aus reiner Verzweiflung setzte ich mich eines Nachmittags hin und schrieb ein weiteres Lied mit dem Refrain: »Wenn du nur einmal mit mir sprechen würdest, o Ramana!«
Um 3 Uhr nachmittags ging ich zum Ashram. Als ich hereinkam, sagte Bhagavan zu jenen, die bei ihm waren: »Seht, Nagamma kommt.« Kaum hatte ich mich nach der üblichen Verbeugung erhoben, sagte er: »Jemand hat dieses Gedicht geschrieben und hergeschickt.« Lächelnd gab er es mir und bat mich, es zu lesen. Dann begann er, alles zu erzählen, was sich während der letzten zehn Tage zugetragen hatte. Es war, als würde er meinetwegen ein Bündel von Neuigkeiten öffnen. Er erzählte über eine Stunde lang. Alle waren über den plötzlichen Wandel überrascht und ich war glücklich und zufrieden.
Von da an rief er mich immer herbei und sprach mit mir. Ich zeigte ihm das Lied, das ich gedichtet hatte, weil ich glaubte, er wisse nichts davon. Doch er lachte und sagte: »Ja, ich kenne es.«

Einen Tag zuvor war ich Bhagavan begegnet, als er vom Kuhstall zurückkam. Als er mich sah, blieb er stehen. Ich sagte: »Ich habe keine Arbeit mehr. Ich spüre, dass ich von Bhagavan ferngehalten werde. Es ist als ob das Kind von seinen Eltern ferngehalten wird.« Bhagavan erwiderte: »Du bist es, die auf Abstand geht.« Ich antwortete: »Chinna-swami hat mir alles verboten.« »Wer weiß, was man ihm für Geschichten erzählt hat«, erwiderte Bhagavan und ging weiter. Da flaute mein Ärger über Chinnaswami ab. Offensichtlich gab es Leute, die gegen mich arbeiteten.

Ich hatte meinem Bruder fast einen Monat lang keinen Brief mehr geschrieben. Kunju Swami, der mich täglich besuchte, sagte: »Warum gibst du das Schreiben auf? Du schreibst an deinen Bruder und es gibt überhaupt keinen Grund, damit aufzuhören, was immer man auch sagen mag. Es ist nicht grundlos, dass die Verantwortlichen im Ashram dich bitten, mit dem Schreiben aufzuhören. Brunton, Venkatarama Iyer und andere haben geschrieben wie du. Andere haben es abgeschrieben, unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht und damit Geld gemacht. Du willst nichts vermarkten. Warum solltest du also zögern? Selbst wenn es dir jetzt verboten ist, solltest du dennoch weiterschreiben, da diese Briefe für künftige Generationen von großem Nutzen sein werden. Ist es nicht eine bekannte Erfahrung, dass jedes gute Werk auf Hindernisse stößt? Deshalb solltest du nicht mit dem Schreiben aufhören.«

[1] der Name eines bestimmten Nervs bzw. Kanals im Yoga, durch den das Bewusstsein vom Herzen zum Gehirn fließt
[2] die 50Jahr-Feier zu Ramanas Ankunft in Tiruvannamalai im September 1946
[3] Später wurden sie unter dem Titel ›Talks‹ (Gespräche mit Ramana Maharshi) veröffentlicht.
[4] Das Tagebuch Devaraja Mudaliars überschneidet sich teils mit dem Zeitraum der Briefe von Suri Nagamma.
[5] s. Briefe vom 25.-27.11.1945 in Nagamma: Briefe aus dem Raman-ashram
[6] s. a. Nagamma: Briefe aus dem Ramanashram, Brief vom 20. Februar 1947
[7] Ramana schrieb das ›Ekatma Panchakam‹ in Telugu, worin er nicht so bewandert und sicher war wie in Tamil.
[8] Einschub der Übers., aus Collected Works, S. 130f

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