04.09.08

4. Bhagavans Tumor

Bhagavans Tumor

Anfang 1949 war an Bhagavans Ellbogen ein kleiner Tumor aufgetaucht und wuchs während eines Monats zur Größe einer Murmel. Der Ashramarzt Sankar Rao, ein angesehener Chirurg im Ruhestand, war der Ansicht, dass eine Operation nötig sei. Der Vorschlag wurde Bhagavan unterbreitet. Er aber meinte: »Es ist nicht schmerzhaft. Lasst es wie es ist. Wozu soll man sich daran zu schaffen machen?«
Da der Tumor täglich wuchs, sagte der Arzt besorgt zu Bhagavan: »Er wird täglich größer. Er muss operativ entfernt werden. Das Problem wird gelöst sein, wenn man den Tumor sofort entfernt.« »Ach, tatsächlich?«, meinte Bhagavan und schwieg.
Der Sarvadhikari war seit drei Wochen in Madras. Die Ärzte warteten auf seine Rückkehr und führten die Operation am 9. Februar aus, nachdem sie seine Einwilligung eingeholt hatten.

Subbalakshmamma kam während der Operation zu mir und sagte weinend, dass die Ärzte ein Stück von Bhagavans Körper mit einem Messer herausschneiden würden und ich solle kommen. Tief beunruhigt fragte ich sie, wie es dazu gekommen sei, und sie erzählte mir die ganze Geschichte.

Bhagavan kam schon bald aus dem Zimmer. Sein verbundener Arm war mit einem Handtuch bedeckt. Er setzte sich auf das steinerne Sofa in der Jubiläums-Halle. Er sah müde aus. Mich schmerzte das, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte und setzte mich einfach hin.
Nach einer Weile wurde der Verband rot, da die Wunde blutete. Bhagavan war sehr darauf bedacht, dass keiner den Verband zu Gesicht bekam, aber er hatte nichts, um sich zu bedecken, nur ein kleines Handtuch. Er versuchte die Wunde zu verbergen, indem er es sich um den Hals hängte, aber die Leute konnten die Wunde von der Seite sehen. Wenn er darauf angesprochen wurde, sagte er lächelnd: »Ich trage ein Armband«, »ein Lingam ist aufgetaucht« oder etwas Ähnliches.

Nach einigen Tagen wurde der Verband entfernt. Die Ärzte waren der Meinung, dass die Wunde heilen würde und wenn sie vernarbte, würde das Geschwür nicht wiederkommen. Doch die Wunde heilte nicht.
Während der Einweihungsfeierlichkeiten des Tempels der Mutter war keiner mehr um den Tumor besorgt. Die meisten Leute dachten, Bhagavan sei gesund. Doch ich war immer noch beunruhigt, da der Tumor nicht richtig abgeheilt war. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich mir zu viele Sorgen über eine Kleinigkeit machte.

Am 17. März waren die Feierlichkeiten zu Ende. Am folgenden Tag beobachteten meine Schwägerin und ich, dass Bhagavan öfter an der Wunde kratzte und wir fragten uns, was das bedeuten könnte. Wenige Tage später bemerkte ich, dass an der Stelle ein neues Geschwür zu wuchern begonnen hatte. Ich sagte: »Es ist nachgewachsen.« Bhagavan erwiderte unbekümmert: »Ja. Angesehene Ärzte aus Madras wollen kommen. Vielleicht werden sie erneut operieren.« Gequält sagte ich: »Wozu? Warum lassen sie nicht zu, dass Bhagavan selbst einen Behandlungsvorschlag macht.« »Was kann ich machen? Die Ärzte sagen ständig: ›operieren, operieren‹.« »Das haben sie bereits einmal getan und das Geschwür ist jetzt noch größer als zuvor. Wozu wollen sie also nochmals operieren?«
Bhagavan stimmte mir zu. Unser Gespräch setzte sich wie folgt fort:
Nagamma: »Warum soll man es nicht mit einem Hausmittel versuchen?«
Bhagavan: »Ja, das könnte man tun. Aber alle sagen, man müsse operieren. Was kann ich machen?«
Nagamma: »Ein Kind hatte einmal eine ähnliche Geschwulst. Ein ayurvedischer Arzt hat es mit Feigenbaummilch verbunden und das Geschwür ist geheilt. Warum kann man nicht das versuchen? Zudem kennt Bhagavan alle Heilmittel. Wenn das nicht hilft, dann kann man immer noch an eine Operation denken.«
Bhagavan: »Feigenbaummilch ist gut. Aber wer wird diesen Rat beherzigen? Du kannst ins Büro gehen und es ihnen sagen. Es wird noch zehn Tage dauern, bis die Ärzte kommen. Bis dahin kann man es damit versuchen.«
Einer der Helfer fragte: »Wird das denn in diesem Fall helfen?«
Bhagavan erwiderte: »Warum nicht? Als ich auf dem Berg lebte, hat meine Mutter viele Menschen von solchen Dingen geheilt.«

Da brachte ein Devotee Pflaster, die ein ayurvedischer Arzt ihm gegeben hatte. Bhagavan sagte in solchen Dingen nie nein und die Pflaster wurden aufgelegt.

Wir hatten angenommen, dass die Ärzte erst in zehn Tagen kommen würden, aber dann kündigten sie sich für den nächsten Tag an.
Als sie wieder fort waren, ging ich zu Bhagavan, um zu erfahren, welchen Entschluss sie gefasst hatten. Als er mich sah, sagte er: »Die Ärzte haben eine weitere Operation beschlossen. Sie wird nächsten Samstag stattfinden. Was kann ich machen? Sollen die Dinge ihren Lauf nehmen. Ich habe versucht, sie davon abzubringen, aber sie haben nein gesagt. Lass sie machen was sie wollen. Lass es geschehen.«


Was geschehen soll, wird auch geschehen

Ich ging wie üblich um 7.30 Uhr zu Bhagavan. Sambasiva Rao war auch da. Die abgehende Post wurde gebracht. Als Bhagavan sie durchgesehen hatte, fragte einer der Devotees: »Warum wird heute die Post so früh gebracht?«
Bhagavan: »Heute kommen die Ärzte aus Madras und wir sollten bereit für sie sein. Alles wird vorbereitet.«
Niemand sagte etwas. Fünfzehn Minuten später kamen die Ärzte an, verbeugten sich vor Bhagavan und fragten ehrerbietig: »Sollen wir ins Krankenhaus hinübergehen?« Bhagavan bejahte und schwieg. Als sie vorausgegangen waren, sah mich Bhagavan an und sagte: »Wie du siehst sind die Ärzte gekommen.«
Sambasiva Rao erwiderte: »Wir haben doch die ayur-vedische Arznei aus Nellore bekommen.«
Bhagavan: »Ja, aber was soll ich machen? Die Pflaster wurden nur zwei Tage lang aufgelegt. Bewahrt sie auf. Vielleicht können sie noch jemandem nützen. Alles ist für die Operation bereit.«

Bis zuletzt hoffte ich, dass Bhagavan doch noch die Zustimmung verweigern würde, doch dann kam jemand vom Krankenhaus und gab Bescheid, dass alles bereit sei. Bhagavan sagte mit fester Stimme: »Was geschehen soll, wird auch geschehen. Es lässt sich nicht aufhalten. Sollen die Dinge ihren Lauf nehmen.« Damit stand er auf und ging zum Krankenhaus hinüber.

Die Operation wurde ohne Narkose durchgeführt. Wir saßen alle in der Jubiläums-Halle und sahen ängstlich zum Krankenhaus hinüber. Es war fast Mittagszeit, als die Operation vorüber war. Wir sahen, wie Bhagavan vom Krankenhaus in den Speisesaal ging, grüßten ihn von unserem Platz aus und gingen nach Hause. Als die Ärzte zu Mittag gegessen hatten, gingen auch sie.
Beunruhigt kehrte ich früher als sonst zum Ashram zurück. Bhagavan saß wie üblich auf seinem Sofa, aber er sah müde aus. Zu jener Zeit verbrachte Bhagavan Tag und Nacht nur auf seinem Sofa. Er schlief nicht wirklich. Der Tagesablauf ging wie immer weiter. Wenn jemand fragte: »Was ist mit dem Geschwür?«, antwortete er beruhigend: »Es ist nichts mehr an der Stelle. Alles wird gut werden.«


Heilung eines anderen Tumors

Bhagavan hatte einen Cousin namens Ramaswami. Er bemerkte, dass seine Frau Ammalamma auf ihrem Hals ein Geschwür hatte, das so groß wie eine Limone war und fragte sie, was es sei. Sie sagte, sie wisse es nicht, aber es würde ständig größer. Es würde nicht wehtun, außer man würde darauf drücken. »Ja«, sagte Ramana. »Das Geschwür an meinem Arm war von derselben Art. Wenn es mit den Pflastern und der Arznei behandelt wird, die wir aus Nellore erhalten haben, wird es vielleicht heilen.«
Bhagavan bat einen der Devotees die Arznei zu bringen. »Es ist eine gute Arznei. Soll wenigstens sie geheilt werden. Für mich nützt sie nichts mehr, weil ich operiert worden bin.«
Da kam ihr Sohn herein. Bhagavan rief ihn zu sich und sagte: »Gib das deiner Mutter. Ich bin operiert worden und mir nützt sie nichts mehr. Soll es ihr helfen.«
Die Frau nahm die Arznei als Prasadam entgegen. Sie legte die Pflaster zusammen mit grünen Blättern auf und verband das Geschwür mit einer Baumwollbinde, die sie in Milch getunkt hatte. Das Geschwür verschwand tatsächlich.

Wenige Tage später erfuhren wir, dass Bhagavans Geschwür nachgewachsen war. Einer der langjährigen Devotees sagte leise zum Meister: »Das Geschwür ist wiedergekommen, trotz allem, was man dagegen getan hat.« Bhagavan antwortete: »Ja. Am Anfang war es nur so groß wie ein Pickel. Ich habe zu den Leuten gesagt: ›Lasst es in Ruhe‹, aber sie habe nicht auf mich gehört. Sie haben es wegoperiert, aber es hat nichts geholfen. Das Geschwür hat die Herausforderung angenommen und wird immer größer. In einigen Tagen kommt ein Arzt und behandelt es mit Radium. Wir werden sehen, was dann geschieht.«

Als Bhagavan am 27. April spazieren war, kamen die Leute vom Büro in die Jubiläumshalle, riefen alle Devotees zusammen und sagten, dass sie Bhagavan in kein Gespräch verwickeln sollten, da er sehr schwach sei. Jemand musste ihm bei seiner Rückkehr davon erzählt haben, denn er schien empört zu sein, als er hereinkam.

Da das Geschwür immer stärker blutete, kamen am Abend des 30. April die Ärzte aus Madras. Als sie wieder fort waren erfuhr ich, dass Bhagavan eine Bluttransfusion bekommen hatte. Es wurde noch schlimmer. Am 1. Mai sagten ihm die Ärzte, dass es ein krebsartiges Geschwür sei und dass es ratsam sei, den ganzen Arm zu amputieren. Als Bhagavan fragte, ob das Geschwür dann sicher nicht mehr wiederkommen würde, konnten sie es ihm nicht zusichern.
Anschließend versammelten sich mehrere Devotees im Büro und führten eine erhitzte Diskussion. Einige waren für die Amputation, andere, auch mein Bruder, waren dagegen. Als Bhagavan bemerkte, dass es verschiedene Ansichten gab, fragte er alle seine Helfer einzeln nach ihrer Meinung. Keiner von ihnen befürwortete die Amputation.

Ich ging am späten Vormittag zu Bhagavan. Ein Devotee meinte, dass es besser gewesen sei, das Geschwür in Ruhe zu lassen. Bhagavan erwiderte: »Es wächst stark, als ob es sich rächen wollte. Es ist wie wenn man eine Kobra in ihrem Lebensraum aufscheucht. Wird sie nicht zischen?« Eine Devotee versuchte ein letztes Mal, Bhagavan zur Amputation zu bewegen. Der Meister antwortete: »Genug damit! Man braucht gar nichts zu tun. Es wird von selbst heilen« und änderte das Gesprächsthema.
Da kam Muruganar herein und überreichte Bhagavan ein Vers. Er lautete: »Bitte heile dich selbst und rette uns alle.« Ich konnte meinen Kummer nicht mehr zurückhalten und jammerte: »Du hast uns versprochen, dass du dich selbst heilen würdest, wenn das Geschwür zurückkommt. Warum heilst du die Krankheit nicht? Bhagavan weiß doch alles.« Auch Muruganar und alle anderen wurden von Kummer ergriffen und keiner konnte etwas sagen. Bhagavan sah uns voller Mitleid an und sagte nur: »Oh, oh«.


Ein Jnani hat keine Wünsche

Dr. Anantanarayana Rao massierte jeden Abend Bhagavans Beine. Nach der zweiten Operation fragte ich ihn immer wieder besorgt nach Bhagavans Zustand.
Als ich ihn im Mai 1949 wieder einmal danach fragte, sagte er: »Sein Zustand hat sich leicht verbessert, aber er muss den Wunsch haben, dass das Geschwür abheilt. Als ich ihn gestern Abend massiert habe, hat er etwas gesagt, das mich ziemlich beunruhigt hat. Er sagte, dass ein Jnani sich freut, wenn sein körperliches Karma zu Ende ist. Er ist wie jemand, der für einen Lohn eine schwere Last auf seinem Kopf trägt und ungeduldig darauf wartet, das Ziel zu erreichen. Sobald er angekommen ist, legt er erleichtert seine Last ab und ruht sich aus. Seine Arbeit ist beendet. Ebenso ist es mit dem Jnani. Sobald seine Arbeit getan ist, verlässt er den Körper und geht fort. Oder nimm das Beispiel vom Blatt, auf dem wir essen. Vor dem Essen wird es mit Wasser abgewaschen. Dann werden die verschiedenen Speisen darauf angerichtet. Doch nimmt man nach dem Essen das Blatt in seiner Tasche mit? Nein. Das Blatt hat seinen Zweck erfüllt und wird fortgeworfen. Mit dem Körper des Jnani ist es dasselbe. Sobald er seine Arbeit getan hat, verlässt er ihn. Das ist es, was Bhagavan mir gesagt hat.«

Das Geschwür wuchs und blutete immer stärker. Dr. Anantanarayana Rao und Dr. Sankar Rao begleiteten Bhagavan jeden Morgen zum Kuhstall. Dort wurde das Geschwür der Sonne ausgesetzt und neu verbunden. Bhagavan sagte lächelnd: »Seht her, wie schön es aussieht! Er ist wie ein Armband. Seht bloß, wie rot es ist! Es glänzt, wenn die Sonnenstrahlen darauf fallen.«

Eines Tages sahen Devotees den Tumor, als er verbunden wurde, und sagten: »Er sieht furchtbar aus! Warum heilt Bhagavan sich nicht selbst?« Nachdem Bhagavan ihnen eine Weile lang geduldig zugehört hatte, erwiderte er: »Was für eine Bitte! Wenn ihr alle zu mir sagt, dass ich einen Körper mit Armen habe und dass auf einem der Arme ein Tumor ist, höre ich euch zu und spüre, dass ich das bekommen habe, was ihr sagt. Andernfalls spüre ich nichts. So wie ihr alle gekommen seid, ist auch das Geschwür gekommen. Ich sehe keinen Unterschied. Wozu sollte ich wünschen, das Geschwür zu heilen?«
Einer der langjährigen Devotees antwortete: »wegen uns«. Bhagavan lächelte darüber und meinte: »Alles ist in Ordnung. So wie ihr gekommen seid, ist auch das Geschwür gekommen, ist meinen Arm hinaufgekrochen und hat sich hier gemütlich niedergelassen. Ihr alle dient ihm mit Respekt, ihr erweist ihm die Ehre. Wie ich euch schon gesagt habe, es ist ein Juwel. Wer ist nicht von seinem Glanz fasziniert?«


Tanzendes Darshan

Bhagavan war damit einverstanden, dass Vallivayan Tata (Tata bedeutet Großvater) ihn mit Heilkräutern behandelte. Tata war wenig älter als Bhagavan. Er hatte Bhagavan 1943 schon einmal behandelt, als er ausgerutscht war und sich etwas am Oberarm gebrochen hatte. Drei Tage später war es verheilt. Als er jetzt den Tumor sah, konnte er sich nicht mehr beherrschen und rief mit stockender Stimme: »Oh, Bhagavan, wie schrecklich! Das ist ein Krebsgeschwür und hätte niemals operiert werden dürfen. Wenn ich nur davon gewusst hätte, hätte ich es mit heilsamen Blättern und Kräutern verbunden und es wäre ohne Probleme abgeheilt. Hättest du nur nach mir geschickt!«
Tata legte seine Verbände an. Bhagavan schlug verschiedene Blätter vor, die besser wirken würden. Wir alle hofften, dass Bhagavan sich doch noch selbst heilen würde, wie er es einst mit seiner Gelbsucht getan hatte.

Am 10. Juli hatte die Blutung aufgehört und alle waren glücklich. Aber vier Tage später, als Bhagavan von seinem Abendspaziergang zurückkam, hatte er Schüttelfrost. Er erreichte gerade noch sein Sofa. Wir waren alle sehr besorgt. Shantamma, eine der älteren Devotees, brach in Tränen aus und jammerte: »Ach, dein Körper ...« Doch bevor sie noch ihren Satz beenden konnte unterbrach Bhagavan sie: »Oho! Der Körper? Was ist mit ihm? Was ist schon geschehen? Er zittert, na und? Was du willst ist, dass dieser Körper lebt. Leben ist in ihm. Bist du nun zufrieden?« Er unterdrückte das Zittern, sah alle an, die in seiner Nähe saßen und sagte: »Das ist Natarajas Tanz. Täglich erhaltet ihr von diesem Körper bewegungsloses Darshan, heute ist es eben tanzendes Darshan. Warum solltet ihr euch deshalb Sorgen machen?« Dann schwieg er.


Einschränkungen

Tata verwendete keine solchen Blätter mehr. Der Schüttelfrost hatte aufgehört, aber das Fieber blieb. Für Bhagavan war es zunehmend schwieriger, die höheren Stufen zum östlichen Eingang der Neuen Halle hinaufzusteigen, aber er wollte keine Änderung, da die Neue Halle erst vor kurzem mit großem Aufwand und hohen Kosten erbaut worden war. Man schlug ihm vor, den nördlichen Eingang zu benutzen, aber er war nicht damit einverstanden, da dort die Frauen saßen und er sie aufscheuchen würde. Die Helfer hatten Bhagavan beschworen, in dem kleinen Raum östlich der Neuen Halle zu bleiben, der ein eigenes Badezimmer hatte. Die Nächte verbrachte er bereits dort. Jetzt willigte er ein, auch am Nachmittag dort zu bleiben und saß nur noch während der Darshan-Zeit in der Neuen Halle.

Bhagavan war auch zu schwach, um die Stufen zum Speisesaal zu bewältigen. Da es keine andere Möglichkeit gab, baten die Ärzte und Devotees ihn, künftig in der Neuen Halle zu essen. Zuerst antwortete Bhagavan: »Wie kann ich ohne die Devotees essen? Sie kommen meinetwegen.« Als man ihn weiter bedrängte, sagte er: »Wenn ich jetzt damit aufhöre, in den Speisesaal zu gehen, werde ich meinen Fuß nicht mehr hineinsetzten.« Man brachte ihm künftig das Essen in die Neue Halle.


Jahrestag der Kuh Lakshmi

Der erste Jahrestag des Todes der Kuh Lakshmi fiel auf den 18. Juli 1949. Im Juni ging ich nach Vijayawadi, wollte aber wieder rechtzeitig für die Feierlichkeiten zurück sein. Zwar hatte ich dem Ashram den zweiten Teil der Briefe übergeben, aber mein Bruder hatte das Original. Auf die eindringliche Bitte von Devotees waren inzwischen die Teile III-V entstanden. Die Verantwortlichen im Ashram hatten es abgelehnt, den zweiten Teil zu veröffentlichen, obwohl Devotees die Kosten übernehmen wollten. Deshalb war an die Veröffentlichung der späteren Teile auch nicht zu denken. Da ich bereits vor meiner Zeit im Ashram mehrere Bücher geschrieben hatte, wie das Satakam und ›Balakrishna Gitavali‹, dachte ich, ich könnte sie in Vijayawada drucken lassen.

Ich war etwa 20 Tage fort und mit den Korrekturen beschäftigt. Darüber vergaß ich Lakshmis Jahrestag. Von Bhagavans Tumor wurde mir berichtet, dass die Behandlung mit Radium die Blutung zum Stillstand gebracht hätte und die Wunde verheilte. Deshalb sah ich keinen unmittelbaren Grund für eine eilige Rückkehr.

Zehn Tage nach meiner Abreise war meine Schwägerin mit ihrem Koch zum Ashram gefahren und wohnte in meinem Haus. Als sie erfuhr, dass Bhagavans Wunde erneut zu bluten begonnen hatte, schrieb sie mir: »Bhagavan fragt mich täglich nach dir. Es ist nicht recht, dass du länger fort bleibst. Die Leute berichten, dass der Tumor auf Bhagavans Ellbogen wieder blutet. Bitte komm sofort zurück.«

Ich nahm den ersten Zug nach Tiruvannamalai und kam am nächsten Morgen im Ashram an. Meine Schwägerin erinnerte mich daran, dass es der Jahrestag von Lakshmi sei. Bhagavan habe mehrmals gesagt: »Nagamma wird nicht wegbleiben. Warum ist sie noch nicht da?« Bhagavan hätte auch liebevoll erzählt, wie Lakshmi ihren letzten Atemzug in meinen Armen getan und dass ich ihre Geschichte aufgeschrieben hatte.[1]

Meine Schwägerin begleitete mich zum Ashram. Als Bhagavan uns sah, sagte er: »Oh, Nagamma ist da! Ich wusste, dass sie noch rechtzeitig kommen würde. Das ist sehr gut. Deine Schwägerin hat heute Lakshmis Geschichte vorgelesen.« Ich legte das Obst und die Blumen an Lakshmis Grab nieder. Dann gingen wir wieder nach Hause.

Auf dem Weg trafen wir Viswanatha Brahmachari. Er sagte: »Da bist du ja. Bhagavan hat wiederholt gesagt, dass Nagamma nicht fortbleiben würde. Wie viel Zuneigung er für dich hegt. Die Liebe der Eltern wird erst dann sichtbar, wenn die Kinder weg sind.« Ich schämte mich, dass ich so lange fort geblieben war, nur um ein Buch drucken zu lassen, während Bhagavan so gut zu mir war. Ich war zurückgekommen, weil der Meister krank war, aber Bhagavan hatte mich zurückgezogen, weil es Lakshmis Jahrestag war. Wie könnte man seinem Einfluss widerstehen!


Wohin kann Bhagavan gehen?

Am 23. Juli hatte Bhagavan einen Brief von einem Devotee in Madurai erhalten. Er sagte zu mir: »Dieser Devotee fragt, wozu so viele Behandlungsarten für Bhagavan nütze sein sollen und ob es nicht besser sei, wenn einer der Devotees seine Krankheit übernehmen würde.«
Von Kummer überwältigt antwortete ich: »Ja, das stimmt. Warum verteilst du dein Leiden nicht auf alle von uns, anstatt es selbst zu tragen? Wenn man dir etwas zu essen bringt, verteilst du es. Warum willst du deine Krankheit nicht ebenso verteilen? Ich bitte dich, gib sie mir.«
Ich brach in Tränen aus und konnte nicht mehr weitersprechen. Bhagavan sah mich mitleidsvoll an, nickte und schwieg. Alle anwesenden Devotees weinten.

Am Nachmittag des 25. Juli kam Dr. Guruswami Mudaliar, ein hochqualifizierter Homöopath. Er erzählte, er habe von dem Tumor gehört und sei gekommen, um ihn sich anzusehen. Bhagavan war damit einverstanden, meinte jedoch: »Die Höflichkeit verlangt es, dass derjenige, der den Verband angelegt hat, ihn auch wieder abnimmt. Bitte schickt nach Tata.« Als Tata den Verband abgenommen hatte, meinte Dr. Guruswami, dass das Geschwür nie hätte operiert werden dürfen und dass es für eine Behandlung mit Heilkräutern zu spät sei. Der Tumor sollte täglich gereinigt und mit einem sterilen Verband neu verbunden werden.

Das Geschwür blutete so stark, dass man es morgens und abends frisch verbinden musste. Einige Devotees weinten und sagten: »Wir fürchten, dass Bhagavan bald nicht mehr unter uns sein wird.« Bhagavan lachte und erwiderte: »Ach, das glaubt ihr also! Doch wohin wird Bhagavan gehen? Wohin kann ich gehen?«

Am 31. Juli diskutierte Dr. Guruswami Mudaliar mit zehn Ärzten, wie man weiter vorgehen sollte. Es wurde beschlossen, dass eine Operation mit Hilfe von elektrischen Geräten vorgenommen werden sollte, um den Blutverlust gering zu halten. Sie überbrachten Bhagavan den Vorschlag und mit seiner Einwilligung wurde der 7. August festgelegt. Dr. Ranghavachari sollte die Operation vornehmen und die anderen sollten ihm assistieren.

Am folgenden Tag wurde angeordnet, dass die Devotees während des Veda-Parayana nicht mehr in der Halle sitzen und nur ein kurzes Darshan haben konnten, da Bhagavan Ruhe benötigte. Ich war darüber sehr aufgebracht. Es sah so aus, als ob die Devotees zunehmend von Bhagavan ferngehalten würden.

Am 5. August wurde das Morvi-Gästehaus geputzt, da die Ärzte am folgenden Tag kommen sollten. Vom Royapattah-Krankenhaus in Madras wurden ein Röntgengerät und andere elektrische Geräte in einem Lastwagen hergebracht. Alles andere brachten die Ärzte in ihren Autos mit. Mit Dr. Raghavachari kamen insgesamt 30 Ärzte, die die Gelegenheit nicht verpassen wollten, Bhagavan zu Diensten zu sein. Das Krankenhaus hatte seine Ausrüstung kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Transportkosten wurden von einem Devotee übernommen. Das Ashram-Krankenhaus wurde gereinigt, die Geräte sterilisiert und alles hergerichtet. Man machte Röntgenaufnahmen und es hieß, dass der Krebs noch nicht gestreut habe und man am nächsten Tag operieren könne.

Unter den vielen Devotees, die gekommen waren, war auch der Elektroingenieur Narayana Rao. Da im vergangenen April während einer Operation die Elektrizität ausgefallen war, hatte man mit Hilfe von Laternen weiteroperieren müssen. Narayana Rao erinnerte sich daran und fragte nach, ob Vorkehrungen für eine ununterbrochene Stromversorgung getroffen worden seien. Da das nicht der Fall war, sorgte er dafür.

Ich hielt es Zuhause nicht alleine aus und kam bald zum Ashram zurück. Die Verantwortlichen im Ashram hatten angeordnet, dass Bhagavan Ruhe brauchte und keiner ihn sehen dürfte. Deshalb fand das abendliche Veda-Parayana im Tempel der Mutter statt.
Madhavi Amma und ich wanderten ziellos umher und gingen dann in den Tempel. Wir drückten uns in eine Ecke am Haupteingang, von wo aus wir Bhagavan sehen konnten. Als er uns sah, bat er seine Helfer, uns zu sagen, dass die ursprüngliche Anweisung gelockert worden sei und wir hereinkommen durften. Außer seinen Gehilfen war niemand bei Bhagavan in der Halle. Wir gingen hinein und verneigten uns vor ihm. Madhavi Amma sagte: »Oh Bhagavan, morgen sollte alles wieder gut sein. Es wird ein wundervoller Sonnenaufgang und ein herrliches Darshan geben.«
Ich konnte nichts sagen. Bhagavan sah mich gütig an und meinte: »Morgen wird dein Bruder kommen und Dr. Guruswami mitbringen.«
Ich sagte kleinlaut: »Bhagavan muss unsere Gebete erhören.« Bhagavan lächelte und nickte zuversichtlich. »Es gibt nichts zu befürchten.«
Da waren wir sehr glücklich und gewannen neuen Mut.


Operation und Unabhängigkeitstag

Ich fand die ganze Nacht keinen Schlaf. Am nächsten Morgen ging ich bereits um 6 Uhr zum Ashram. Ich sah Bhagavan, als er zum Kuhstall hinüberging. Auf dem Rückweg ging er direkt zum Krankenhaus. Alle Devotees saßen in der Jubiläumshalle. Um 9 Uhr kam Dr. Guru-swami mit meinem Bruder. Sie gingen direkt ins Krankenhaus und trafen sich dort mit den anderen Ärzten. Nach eineinhalb Stunden kam Dr. Guruswami mit dem Sarvadhikari in die Halle und benachrichtigte uns, dass die Operation vorüber sei und man sich keine Sorgen machen müsse. Bhagavan würde am Abend Darshan geben. Bhagavan saß von 5 bis 6 Uhr abends zum Darshan in einem Lehnstuhl auf der Veranda des Krankenhauses.
Am nächsten Morgen gab er von 9 bis 10 Uhr Darshan. Die Ärzte sagten, Bhagavan solle im Krankenhaus bleiben, aber sobald sie fort waren, ging er in die Neue Halle hinüber, da er den Devotees und den Patienten keine Unannehmlichkeiten bereiten wollte.

Am nächsten Tag war der indische Unabhängigkeitstag. Die Türen der Neuen Halle waren offen und Devotees konnten zur östlichen Tür herein und zur südlichen hinaus. Bhagavan lehnte auf einem Kissen. Sein Gesicht strahlte wie die aufgehende Sonne. Krishnaswami sagte, dass Devotees nur Darshan haben könnten, aber nicht in der Halle bleiben dürften. Also ging ich wieder. Am Nachmittag war es dasselbe.


Der Elektroofen

Im Oktober musste ich zu meinem Bruder nach Madras und kam am 8. November zurück. Ich bemerkte, wie sehr der Meister abgebaut hatte. Am nächsten Morgen war sein Körper ganz rot und voller Blasen. Es standen zwei Elek-troöfen in seiner Nähe. Ich vermutete, dass sein Hautausschlag davon kam. Der Elektroingenieur Narayana Rao kam zu Bhagavans Darshan und ich fragte ihn nach seiner Meinung. Er war derselben Ansicht und gab im Büro Bescheid. Daraufhin wurden die Heizöfen entfernt und der alte Kohlenofen wieder aufgestellt.

Alle erfuhren davon. Einer der langjährigen Devotees fragte Bhagavan, warum er sich nicht beschweren würde, wenn der Elektroofen ihm Probleme machte. Bhagavan erwiderte: »Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Den alten Kohlenofen muss man mit Kohlen füllen und Luft zufächern. Die Asche verteilt sich in der ganzen Halle. Um die Elektroöfen muss man sich nicht kümmern und sie machen keinen Dreck. Deshalb hat man sie aufgestellt. Warum sollte ich dagegen Einwände haben?«
»Aber sie haben deine Haut versengt.«
»Mag sein. Aber werden die Leute nicht beleidigt sein, wenn ich mich gegen etwas beschwere, von dem sie glauben, dass es gut für Bhagavan ist? Zudem wird diese neue Halle von der Asche verdreckt. Deshalb habe ich nichts gesagt. Jetzt, da Narayana Rao Einwände erhoben hat, habe ich meinen alten Kohlenofen zurückbekommen.«

Etwas Ähnliches war bereits vor drei Jahren geschehen. Ein Devotee und Rajagopala Iyer dachten darüber nach, was sie für Bhagavans Muskelschmerzen tun könnten. Da sie fürchteten, der Meister würde mit einer teuren Arznei nicht einverstanden sein, kauften sie stattdessen teure Wirkstoffe und bereiteten daraus eine Salbe zu. Bhagavan wusste nichts davon. Nachdem die Salbe einige Tage aufgetragen worden war, rötete sich die Haut und wurde rissig. Bhagavan beschwerte sich nicht. Als die Helfer auf die Schrunden hinwiesen, sagte er lediglich: »Das bedeutet, dass alles, was innen ist, herauskommt. Lasst es herauskommen.«

Ein anderer Devotee brachte einen Elektroofen. Da es die kalte Jahreszeit war, wurde der Ofen angestellt. Die Salbe und das Gebläse ließen die Haut an den Beinen noch mehr aufreißen. Alle sahen es. Schließlich meinte jemand, dass die Schrunden entweder von der Salbe oder von der Heizungsluft herrühren würden und dass man mit beidem sofort aufhören sollte. Bhagavan meinte: »Die Salbe ist aus teuren Wirkstoffen hergestellt worden, um die Muskelschmerzen schnell zum Abklingen zu bringen. Das ist das Ergebnis. Sie dachten, dass der Kohlenofen nicht mehr gut ist und brachten einen teuren modernen Elektroofen. Haben sie mich zuvor gefragt? Sie haben sich davor gefürchtet, dass ich nein sagen würde. Es ist alles mit bester Absicht geschehen, nämlich Bhagavans Körper etwas Gutes zu tun. Mag es so sein. Wenn ich diese Dinge ablehne, werden sie dann nicht gekränkt sein, da sie sich so viel Mühe gegeben haben, Bhagavan zu dienen? Warum sollte ich sie kränken?« Der Devotee erwiderte: »Muss man auf diese Gefühle Rücksicht nehmen, wenn dein ganzer Körper voller Blasen ist?«
Bhagavan: »Aber sie haben es sich viel kosten lassen. Ist das nicht eine Verschwendung?«
Devotee: »Jemand anderer wird die Dinge gebrauchen können.«
Bhagavan: »Wie das? Wenn etwas nicht für mich taugt, warum sollten andere es nehmen und leiden?«
Der Devotee bestand darauf, dass die Behandlung mit der Salbe beendet wurde. Bhagavan schlug vor, Myrobalams zu zerreiben, einige Zeit in Öl einzuweichen und sie dann aufzulegen. Als man es so machte, verschwanden die Blasen auf der Stelle.

Ich hoffte, Bhagavan würde auch diesmal einen Vorschlag machen, aber wenn man ihn darum bat, sagte er nur: »Es sind bekannte Ärzte da. Lasst sie machen.«


Es gibt noch keinen Anlass zur Sorge

Ab 1. November fand das Veda-Parayana wieder in Bhagavans Gegenwart statt. Alle konnten ihm beiwohnen, mussten aber sofort danach wieder die Halle verlassen. Wir hofften, dass bald wieder alles so wie früher sein würde. Doch bald hieß es, dass das Geschwür nicht richtig heilte. Während des Veda-Parayana bemerkte ich eine Beule. Als alle gegangen waren verneigte ich mich und stand auf. Außer den Helfern war niemand mehr da. Ich sah Bhagavan flehend an und sagte: »Das Geschwür ist wieder aufgetaucht, nur diesmal weiter oben.« Da entfernte Bhagavan den Verband und zeigte es mir. »Da ist es. Es wächst wieder.« Er sah mich gütig an, wie ein Vater sein Kind. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich war sehr traurig. Bhagavan versuchte mich abzulenken und sprach über andere Dinge.

Am 12. November kamen Dr. Raghavachari und andere Ärzte aus Madras, untersuchten das Geschwür und beschlossen, dass am 19. nochmals operiert werden sollte. Am 16. November kam der Amtsarzt von Vellore und stimmte zu, dass eine weitere Operation nötig war. Der Tumor war jetzt höher am Arm und der Krebs hatte vermutlich gestreut.
Ich ging am Tag vor der Operation zu Bhagavan und sagte bange: »Jeder macht sich Sorgen, ob Bhagavan diese Operation überstehen wird. Ich fürchte mich vor den Konsequenzen.« Bhagavan antwortete ruhig: »Fürchte dich nicht. Es wird nichts Schlimmes passieren.«


In dem kleinen Zimmer

Am 18. November kam mein Bruder. Wir gingen am nächsten Morgen um 5.30 Uhr zum Ashram, da wir wussten, dass Bhagavan um diese Zeit ins Krankenhaus gehen würde. Um 8.30 Uhr war die Operation vorbei. Bhagavan sollte für etwa zehn Tage im Krankenhaus bleiben und kein Darshan geben. Doch Bhagavan bestand darauf, dass das Darshan auf jeden Fall stattfinden sollte. Nach zehn Tagen weigerte er sich, länger im Krankenhaus zu bleiben, da es für die Armen, die zur Behandlung kamen, Unannehmlichkeiten verursachte. Er zog in das kleine Zimmer, wo er bereits vorher geschlafen hatte, da es ein angrenzendes Badezimmer hat.

Zwei Tage später gab Bhagavan Darshan auf der Veranda des kleinen Zimmers. Wir konnten täglich morgens von 9 bis 10:15 Uhr und abends von 5 bis 6 Uhr seinen Darshan haben. Sein Geburtstag, der auf den 5. Januar fiel, wurde gebührend gefeiert, doch der Darshan blieb auf diese Zeiten beschränkt.


Die Göttin Kali

Da der Platz in dem kleinen Raum sehr beengt war, durften Devotees nicht mehr bei Bhagavan sitzen wie zuvor. Deshalb wanderte ich ziellos zwischen dem Ashram und meinem Haus umher.
Eines Tages bemerkte ich einen Tumult im Tempel der Göttin Kali, der auf der Straße zwischen meinem Haus und dem Ashram liegt. Ich dachte, dass irgendeine besondere Puja im Gange sei. Da hörte ich das Blöken einer Ziege. Sie wurde gerade geopfert. Solche Schreie hatte ich schon öfter gehört, seit ich in meinem Haus wohnte, aber ich hatte ihnen keine Beachtung geschenkt.
Auf meinem Heimweg vom Ashram sah ich, dass das Götterbildnis von Kali von Blut tropfte und grässlich aussah. Um diese Zeit war keiner mehr im Tempel. Mich schauderte und ich dachte: »Oh Gott, wozu dieses Abschlachten von unschuldigen Tieren! Und das auch noch inmitten eines Wohngebiets und während Bhagavan krank ist!« Diese Opfer mussten sofort beendet werden, koste es was es wolle.
Ich setzte mich mit einigen Devotees in Verbindung und sagte ihnen, dass man Schritte dagegen unternehmen müsste. Sie aber meinten: »Lieber nicht. Die Verehrer von Kali haben tantrische Kräfte. Wenn wir uns gegen sie stellen, können sie diese Kräfte gegen uns richten und uns Böses antun. Es ist am besten, sich von ihnen fernzuhalten.« Keiner wagte, eine Gegeninitiative zu ergreifen.

Ich wartete einige Tage, bis man das herzzerreißende Blöken der Ziegen wieder hörte. Ich sah keine andere Möglichkeit, als damit zu Bhagavan zu gehen. Er sah mich fragend an. Ich sagte nervös: »Im Kali-Tempel werden Ziegen geopfert. Es ist grässlich und herzzerreißend. Es ist damit schlimmer geworden. Das Blöken ist vielleicht sogar hier zu hören. Ich kann den Anblick von Blut, das vom Bildnis der Göttin Kali tropft, nicht mehr ertragen.«
Bhagavan sah mich liebevoll an und sagte: »Ja, ich höre es auch, aber keiner unternimmt etwas dagegen. Was soll man tun?«
Ich erzählte ihm, dass ich mit einigen Devotees darüber gesprochen hatte, aber dass sie sich vor den Verehrern von Kali fürchteten, da sie sich in tantrischen Praktiken und schwarzer Magie auskannten. Ich erzählte ihm auch, dass es ein Gesetz gäbe, das Tieropfer in Wohngebieten verbietet und dass ich alleine dagegen vorgehen würde, wenn Bhagavan zustimmte.
Bhagavan hörte mir geduldig zu und sagte dann: »Wir wollen sehen, ob die Verehrer unseren Protest beachten. Man braucht sich nicht davor zu fürchten, mit ihnen darüber zu sprechen.«
Bhagavans Worte gaben mir die Kraft eines Elefanten.

Am nächsten Morgen sprach ich mit meinem Vermieter Raju Chettiar über die Tieropfer. Wir schickten nach den dortigen Tempelpriestern und sprachen mit ihnen darüber. Wir sagten ihnen, dass inzwischen viele Menschen hier wohnten und dass es sogar Bhagavan Kummer bereite. Zuerst brachten sie ihre Einwände und Ausreden vor. Da erzählte ich ihnen, dass bald Regierungsbeamte den Ashram besuchen würden und ich die Sache bei ihnen vorbringen würde, da Opfer in Wohngebieten verboten seien. Aus Angst hörten sie mit den Tieropfern auf.
Bhagavan freute sich, als ich ihm alles erzählte und sagte: »Das ist gut. Es geht schon lange so und keiner hat sich darum gekümmert. Es wurde täglich schlimmer. Jetzt ist es endlich damit vorbei.«


Hirse und Feigen

Im Januar 1950 wurde Bhagavan homöopathisch behandelt, da bislang nichts geholfen hatte.
Ich kaufte auf dem Markt Hirse von der neuen Ernte und bereitete sie zu wie in den vergangenen Jahren. Ich wollte Bhagavan davon bringen, doch seit er krank war, musste man zuerst die Zustimmung der Ashramverwaltung einholen, wenn man ihm etwas zu essen oder eine Arznei bringen wollte. Ich fragte zuerst den Arzt. Er hatte nichts dagegen. Dann bereitete ich die Hirse zu, ging zum Büro und sagte, der Arzt habe nichts dagegen. Der Sarvadhikari und die anderen sagten nichts. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und gab sie Santhamma, die in der Küche arbeitete.
Bhagavan aß in jener Zeit nicht im Speisesaal. Die Verantwortlichen im Ashram ließen die Hirse nur den Devotees servieren.
Ramachandra Iyer sagte zu Bhagavan: »Nagamma hat wieder Hirse zubereitet. Wir haben alle davon bekommen. Es hat sehr gut geschmeckt.« Bhagavan meinte: »Tatsächlich? Ja, sie schmecken sehr gut. Ich darf nichts ohne die Erlaubnis der Ärzte essen.«
Als ich Ramachandra Iyer fragte, ob Bhagvan etwas von der Hirse erhalten habe, verneinte er. Ich war verärgert und traurig. Da erzählte Ramachandra Iyer Bhagavan alles. »Ach, tatsächlich?«, erwiderte er und beließ es dabei.

Zehn Tage später brachten die Verantwortlichen im Ashram Bhagavan Hirse und sagten: »Der Arzt hat es genehmigt. Bitte iss sie.« Bhagavan sagte voller Unwillen: »Ich soll sie nicht essen, wenn Nagamma sie bringt, aber ich soll die eure essen. Sie hat die Erlaubnis des Arztes eingeholt, aber ihr habt ihr nicht geglaubt. Und ich soll jetzt euch glauben? Genug damit! Gebt sie denen, die sie zuvor gegessen haben. Ich will sie nicht.«

Einige Tage später sandte meine Schwägerin Feigen, die für mich und Bhagavan gedacht waren. Bhagavan mochte Feigen sehr. Ich wusch sie, trocknete sie und gab sie in ein Glas. Diesmal versuchte ich erst gar nicht, mir die Erlaubnis zu holen, obwohl es mir darum Leid tat. Da die Früchte konserviert waren, eilte es damit nicht.

Bhagavan gab von 8 bis 10 Uhr und von 4 bis 6 Uhr Dar-shan. Er saß auf der Veranda des kleinen Zimmers. An diesem Tag waren 500 Devotees gekommen, Männer, Frauen, Kinder und alte Leute. Auf der südlichen Seite vor der Veranda saßen die Frauen und auch ich.
Um 4.30 Uhr kam Srinivasa Mouni mit der abgehenden Post. Bhagavan las einen der Briefe, wandte sich mir zu und sah mich fest an. Ich konnte mir den Grund nicht denken. Als Srinivasa Mouni mit der Post gegangen war, sagte Bhagavan zu mir: »Der homöopathische Arzt hat mir die Erlaubnis gegeben, Feigen, Weinbeeren und anderes getrocknetes Obst zu essen. Die Leute haben an deinen Bruder D.S. Sastri in Madras geschrieben, getrocknetes Obst zu schicken. Das steht in dem Brief, den ich gerade gelesen habe.«
Ich war überrascht, nahm meinen Mut zusammen und antwortete: »Wie seltsam! Meine Schwägerin hat kürzlich getrocknete Feigen für dich gesandt. Ich habe sie gewaschen, getrocknet und in einem Glas aufbewahrt.« Bhagavan fragte: »Du hast sie zuhause?« Ich bejahte.

Ich ging nach Hause und holte die Feigen. Bhagavan machte sofort den Deckel auf, nahm einige Früchte heraus, bat um ein Taschenmesser, schnitt die Feigen in kleine Stücke und aß sie. Alle waren verwundert. Bhagavan gab Rangaswami die übrigen Früchte zurück und bat ihn, sie sorgfältig aufzubewahren. »Wir können jetzt sagen, dass wir bereits welche haben. Ich kann immer davon essen, wenn ich mag.«
Bhagavan sah mich mit strahlenden Augen an, als wollte er sagen: »Ist dein Wunsch jetzt erfüllt?« Er aß normalerweise nichts, was er nicht mit allen teilte. Dieses Mal tat er es.


Schlechte Vorzeichen

Am 9. Februar stellte man fest, dass das Geschwür erneut nachgewachsen war. Wir alle baten Bhagavan inständig, sich doch selbst zu heilen, aber er meinte nur: »Was kann ich machen? Was hab ich damit zu schaffen?«
Am 15. kam Dr. Raghavachari und sagte nach der Untersuchung, dass man nichts mehr tun könne. Von da an gingen alle möglichen Gerüchte über Bhagavans Zustand um. Die Ärzte gaben sich die Klinke in die Hand. Angesehene Astrologen sagten, dass nach Bhagavans Horoskop die Sterne ungünstig standen. Man tuschelte untereinander, dass er nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben habe.

Am 20. Februar war das Geschwür schlimm geworden. Devotees meinten, dass man es mit einer weiteren Behandlung versuchen sollte und baten Bhagavan um Erlaubnis, den berühmten ayurvedischen Arzt Dr. Moos holen zu dürfen. Er überließ es den Verantwortlichen im Ashram. Noch am selben Tag holte Kunju Swami Dr. Moos. Wie alle anderen Ärzte sagte auch er, dass er nicht mehr viel tun könne. Bhagavan möge doch mit seinen Devotees Mitleid haben und sich selbst heilen. Er behandelte Bhagavan mit verschiedenen ayurvedischen Kräutern, aber es half nichts. Dann setzte er Blutegel an, aber auch das blieb wirkungslos.

Als ich am 1. März um 2 Uhr nachmittags in meinem Haus saß und schrieb, zitterten plötzlich das Papier und der Stift und die Fotos an den Wänden wackelten. Es war ein Erdbeben. Das war ein schlechtes Vorzeichen. Ich ging zum Ashram. Dort waren alle ebenso besorgt. Es war nicht das einzige schlechte Vorzeichen. Diebe trieben ihr Unwesen und nachts hörte man heulende Füchse und jaulende Hunde.

Am nächsten Tag versuchte ich, an Bhagavan heranzukommen und fragte ihn ängstlich, wie es seinem Geschwür ginge. Bhagavan informierte mich genau über die Behandlung von Moos und sagte, dass die Blutung sich etwas abgeschwächt habe. »Bedeutet das, dass es eine Besserung gibt?« »Was für eine Besserung?«, fragte Bhagavan. »Wie lange wird das noch so weitergehen. Es muss schnell heilen.« »Wer weiß?«, antwortete er.
Ich spürte, dass es keine Hoffnung auf Heilung mehr gab, da Bhagavan noch nie zuvor so pessimistisch war.


Religiöse Praktiken

Am 2. März war auch Dr. Moos entmutigt. Devotees begannen mit Mrityunjaya-Japa und Homam[2]. Bhagavan meinte: »Sie machen Homam mit dem Mrityunjaya. Mögen sie es tun. Aber sind jene, die dieses Homam vollziehen, dem Tod entronnen? Die wirkliche Bedeutung dieses Homam ist, dass jene, die es ausführen, die Furcht vor dem Tod verlieren, indem sie die Gnade des Herrn Shiva suchen, aber nicht dass sie dem Tod entfliehen.«
Einer der Helfer sagte: »Im Devikalottara heißt es, dass jemand, der sich nach der Befreiung sehnt, sich nicht mit Mantren, Homas und ähnlichem befassen soll.«
Bhagavan erwiderte: »Ja, das ist wahr. Es heißt, dass die Vertiefung in Meditation ausreicht.«

Eine Frau wollte Bhagavan um etwas bitten, traute sich aber nicht, alleine in sein Zimmer zu gehen und bat mich, sie zu begleiten. Sie sagte zu Bhagavan: »Es gibt jemand in unserem Dorf, der in der Mantra-Praxis bewandert ist. Wenn Bhagavan es erlaubt, werde ich ihn holen.« »Ach, tatsächlich? Was macht er?«, fragte Bhagavan. »Er wird dir 108 Kokosnüsse opfern und sie dann im ganzen Ashram zerbrechen.« Bhagavan erwiderte lächelnd: »Er zerbricht nur Kokosnüsse? Tötet er nicht auch noch Hennen und verspritzt ihr Blut im ganzen Ashram? Wird er mir nicht auch noch ein Amulett umhängen und heilige Asche auf mich schmieren?«
Da schämte sie sich und gab ihr Vorhaben auf.

Am nächsten Tag erbrach sich Bhagavan und aß an diesem Tag nichts mehr. Seine Schwester Alamelu sagte bekümmert zu ihm: »Bhagavan hat heute nichts gegessen. Dabei ist das Payasam so köstlich.« Bhagavan tröstete sie und schickte sie weg. Er sagte zu seinen Helfern: »Den Leuten tut es Leid, dass Bhagavan heute nichts vom Payasam gegessen hat. Mir tut es Leid, dass sie noch nichts von der spirituellen Nahrung gekostet haben. Was kann ich tun? Die Dinge geschehen, wie sie vorherbestimmt sind.


Das Neue Jahr

Ugadi, das telugische Neujahrsfest, fiel auf den 19. März. Seit ich im Ashram wohnte, hatte ich Bhagavan zum neuen Jahr ein Handtuch und ein Lendentuch geschenkt. Ich bereitete auch ein Chutney zu. Am Abend vor dem neuen Jahr brachte ich die Geschenke zu Bhagavan in das kleine Zimmer. Er sah mich neugierig an. Ich legte die Kleider auf den Tisch und sagte: »Morgen ist Ugadi.« Bhagavan bemerkte: »Oh, Ugadi kommt. Vikrithi[3] kommt.« Er sagte es voller Vorbedeutung.

Am Morgen des neuen Jahres ging ich mit dem Chutney und einem neuen Kalender zum Ashram. Ich servierte das Chutney Bhagavan und den Devotees zum Frühstück und wartete auf der Veranda der Neuen Halle, um Bhagavan persönlich den Kalender zu geben. Bhagavan hatte das neue Lendentuch an und das Handtuch dabei, aber als er ins Badezimmer wollte, stolperte er über die Türschwelle und fiel. Ich rief, dass Bhagavan gefallen sei, und eilte zu ihm. Der Helfer, der hinter ihm stand, versuchte ihm aufzuhelfen, aber er ließ es nicht zu. Ich hatte zu große Angst davor, was Bhagavan sagen würde, wenn ich ihn berührte, und stand deshalb nur neben ihm. Sein Lendentuch und das Handtuch waren voller Blut.
Ein enger Devotee hatte mein Rufen gehört und kam herbeigeeilt. Aber Bhagavan ließ nicht zu, dass er ihn berührte und stand selber auf. Er hatte sich etwas an der Wirbelsäule gebrochen, aber er befahl seinen Helfern, niemandem etwas davon zu sagen. Die Prellung eiterte und tat sehr weh, aber Bhagavan ließ nicht zu, dass es bekannt wurde. Trotzdem saß er um 9 Uhr auf der Veranda zum Darshan und ich übergab ihm den Kalender.

Seit dem Unfall am Neujahrstag baute Bhagavan zusehends ab. Er konnte nicht mehr zum Darshan herauskommen und saß fortan auf seinem Sofa in dem kleinen Zimmer. Es kamen so viele Devotees, dass sie sich anstellen mussten, um am Meister vorbeizuziehen. Außer für die Verantwortlichen, die Ärzte und hohe Beamte gab es keine Möglichkeit mehr, mit ihm zu sprechen. Wir konnten nur noch aus einiger Entfernung seinen Darshan haben.

Seit diesem Tag konnte ich nicht mehr Bhagavans Stimme hören. Als er mich erstaunt gefragt hatte, ob Ugadi gekommen sei, bedeutete das, dass diese wundervolle Zeit zu Ende war. Es war, als habe er mir freundlich zu verstehen gegeben: »Mit diesem neuen Jahr finden meine Gespräche mit dir ein Ende.«


Nirvana

Am 23. März ging es Bhagavan sehr schlecht und die Behandlung von Moos wurde beendet. Ende März kam ein berühmter ayurvedischer Arzt, verschrieb ihm eine sehr teure Medizin und ging wieder. Ein langjähriger Devotee, der ebenfalls ein ayurvedischer Arzt war, kam zu Bhagavans Darshan. Er wurde damit betraut, die Arznei zu verabreichen. Nach ein oder zwei Tagen hatte Bhagavan Verstopfung und fühlte sich unwohl. Da wurde auch diese Behandlung beendet.

Ab Anfang April zählten die Ärzte die Tage bis zum Ende. Am 13. April waren alle aufgewühlt und angstvoll. Herr Bose beaufsichtigte die Menschenschlange. Als er mich sah, sagte er zu mir: »Komm, Mutter! Du kannst den Meister von hier aus sehen.« Ich stieg auf einen Erdhügel, der errichtet worden war, damit Devotees besser sehen konnten. Bhagavan lag in einer schlafenden Yoga-Position und sein Körper erstrahlte in der Morgensonne. Da keiner lang verweilen durfte, ging ich wieder.
Die Devotees hatten von 9 bis 13.30 Uhr Darshan. Viele von ihnen gingen nicht nach Hause, so auch ich.

Am Nachmittag war Bhagavans Zustand besorgniserregend und die Verantwortlichen wollten den Darshan streichen, doch als Bhagavan davon erfuhr, sagte er, das sei nicht nötig. Es wurde wieder eine Reihe gebildet. Normalerweise sah Bhagavan während des Darshan die Devotees mitleidsvoll an, aber diesmal konnte er seine Augen kaum offen halten.
Als alle Devotees an ihm vorbeigezogen waren, ging auch ich zu diesem letzten Darshan und stellte mich wieder auf den Erdhügel. Die Ärzte und Verantwortlichen des Ashram standen um ihn herum und untersuchten ihn. Ich betete: »O Herr, bitte schenke mir noch einmal deinen mitleidsvollen Blick.« Da öffneten sich langsam seine Augen. Die Leute um ihn folgten der Richtung, die sein Blick nahm. Ein kühler Blick traf mich, der zu sagen schien: »Sieh mich an! Wie lange soll ich noch in diesem Körper bleiben? Wirst du nun deine Vorliebe für diesen Körper aufgeben?«
Da überkam mich eine andere Gesinnung. Ich sagte innerlich: »Die ganze Zeit habe ich dich gebeten, nicht wegzugehen und uns zu verlassen, aber jetzt kann ich nicht mehr darum beten. Wir können nicht mehr mit ansehen, in welchem Zustand dein Körper ist. Du brauchst diese Last um unserer Willen nicht mehr zu tragen.«
Ich übermittelte diese Gedanken durch meine Augen. Da schlossen sich Bhagavans Augen wieder.

Um 19 Uhr fragte Bhagavan seine Helfer, ob das Darshan vorüber sei. Dann bat er sie, ihn aufrecht hinzusetzen. Die Ärzte wollten ihm Sauerstoff geben, aber er winkte ab. Die Polizei teilte der versammelten Menge mit, dass keine unmittelbare Lebensgefahr bestünde und sie heimgehen und nach dem Abendessen wiederkommen könnten. Doch einige Devotees, blieben, darunter auch ich. Wir hielten unsere Augen weiterhin auf das kleine Zimmer gerichtet.

Um 20 Uhr begannen die Brahmanen, die auf der westlichen Veranda saßen, mit dem Veda-Parayana. Andere Devotees, die auf der südlichen Seite saßen, begannen damit, das ›Akshara Mana Malai‹ (die Hochzeitsgirlande) mit dem Refrain ›Arunachala Shiva‹ zu singen. Als Bhagavan dieses Lied hörte, öffnete er plötzlich die Augen und Tränen der Seligkeit strömten aus ihnen hervor. Dann schloss er seine Augen wieder und wenige Minuten später hörte er zu atmen auf. Es war genau 20.47 Uhr.
Ein heller Stern zog über den Himmel und tauchte hinter dem heiligen Berg Arunachala unter. Die meisten von uns waren so sehr auf Bhagavan konzentriert, dass wir den seltsamen Stern nicht sahen, aber jene von außerhalb bemerkten ihn. Sie wussten, was er bedeutete und kamen zum Ashram geeilt. Er war so hell, dass er noch in Madras sichtbar war.

Als die Devotees bemerkten, dass der geliebte Meister gestorben war, wurden Schreie von unkontrollierbarer Trauer laut. Einige Frauen fielen in Ohnmacht, während andere schwiegen. Alle umringten das Nirvana-Zimmer[4]. Vor Bhagavans Körper wurden Lichter geschwenkt und Kampfer verbrannt wie vor einem Tempelbild. Dann wurden Kokosnüsse zerbrochen und geopfert. Da die Menge außer Kontrolle geraten war, brachte man den heiligen Leib in die Jubiläumshalle und setzte ihn auf einer erhöhten Plattform in Richtung des südlichen Eingangs auf einen Stuhl. Das Klagen vermischte sich seltsam mit dem Veda-Parayana. Die Devotees wachten die ganze Nacht.

Als die tragische Nachricht über das Radio und durch Telegramme verbreitet worden war, strömten Devotees in Massen herbei, um den Körper noch einmal zu sehen. Noch bevor der nächste Morgen anbrach, hatte man entschieden, dass Bhagavans Samadhi zwischen dem Büro und dem Tempel der Mutter an der Rückseite der Alten Halle errichtet werden sollte. Sobald es möglich war, wurde den heiligen Vorschriften gemäß eine große Grube ausgehoben.
Zur Frühstückszeit um 6.30 Uhr wurde vor Bhagavan Kampfer entzündet und Lichter wurden geschwenkt. Man opferte Milch, die danach an alle Anwesenden verteilt wurde. Das war der Anfang des morgendlichen Milchopfers an Bhagavans Samadhi.


Die Errichtung eines Lingam

Ab 7 Uhr nahm die Menschenmenge zu. Es kamen Regierungsangestellte und die Polizei, um die Ordnung zu gewährleisten. Das laute Klagen hörte nicht auf.
Um 9 Uhr wurde der Leib auf die südliche Veranda gebracht und auf einen hohen Stuhl in Richtung Süden gesetzt. Der Sohn des Sarvadhikari, T.N. Venkataraman[5] übernahm zusammen mit seiner Frau und den Brahmanen-Priestern die Begräbnisrituale. Man vollzog Abhishekam mit heiligem Gangeswasser, Sandelöl und anderen Düften, Milch, Joghurt, Kumkum und mit heiliger Asche und schmückte den Leib mit Blumengirlanden. Brennender Kampfer wurde geschwenkt, Kokosnüsse zerbrochen und andere Opfer dargebracht. Die Riten waren zur Mittagszeit beendet. Devotees von fern und nah hatten bis zum späten Nachmittag die Möglichkeit, den Meister ein letztes Mal zu sehen.

Um 5 Uhr begannen die Brahmanen mit der Rezitation der Veden. Nach einer kurzen Puja wurde Bhagavans Körper auf eine besondere Konstruktion gehoben und vier Brahmanen trugen ihn auf ihren Schultern, während die Veden rezitiert wurden. Er wurde mit lauter Musik und Liedern um den Tempel der Mutter herumgetragen und dann zur Begräbnisstätte gebracht. Man setzte den Körper in einen Stoffsack, das Gesicht in Richtung Norden, zum Arunachala hin gewandt, und ließ ihn langsam in die Grube hinunter. Man gab heilige Asche und Kampfer in den Sack, bevor man ihn verschloss. Die Grube wurde mit Ziegelmehl, heiligen Blättern und dem Sand von heiligen Flüssen aufgefüllt. Dann wurde die Grabstätte versiegelt. Darüber stellte man ein Lingam auf. Man ehrte es mit Abhishekam, zerbrach Kokosnüsse und schwenkte Kampferflammen. Die Leute umrundeten dreimal das Samadhi unter lautem Rufen von Bhagavans Namen und Verbeugungen. Als die Zeremonien vorbei waren, gingen alle ihrer Wege.

[1] Nagamma: Briefe, Brief vom 20. Juli 1948
[2] Mrityunjaya: ein Shiva-Mantra aus der Rig-Veda: „OM, wir verehren dich, oh Shiva! Du ernährst uns, machst uns wieder gesund und lässt uns erfolgreich sein. Befreie uns von Anhaftung und Tod und versage uns nicht die Unsterblichkeit.“
[3] Name des neuen Jahres, wörtl.: eine kleine Änderung
[4] Das kleine Zimmer wurde künftig als Nirvana-Zimmer bekannt, weil Bhagavan hier Nirvana erlangt hat.
[5] Er wurde wenige Jahre später Präsident des Sri Ramanashram.

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